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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

wirklich tief empfand, „ist das nicht ein voller Ersatz für das bischen Unbequemlichkeit?“

„Charmant, ganz charmant, wie ich sage!“ versetzte der Kammerherr kopfnickend und indem er mit Grazie eine kleine Prise nahm. „Es versteht es nur nicht Jeder zu würdigen. Und wie mir scheint, mein armer Freund,“ fügte er mit einer Art von Schalkhaftigkeit hinzu, während sein Auge die Terrasse überflog und durch die geöffneten Flügelthüren auch in den anstoßenden Musiksaal zu dringen suchte, „giebt es hier selbst bei Ihnen hartnäckige Ungläubige. Unsere Damen –“

„Fehlgeschossen, alter Freund!“ lachte Treuenstein. „Meine Schwester sahen Sie schon – wir besprachen vor Ihrem Erscheinen bereits alles Mögliche, wie Kunigunde es liebt. Die Jungen aber – artig gegen Sie ist’s nicht, allein wie hält man solche Eidechslein? Die sind vermuthlich längst über alle Berge.“

Der Kammerherr wiegte ein wenig ungläubig das Haupt. „Frühstücken sie denn nicht mit Ihnen?“

„Frühstücken – was wissen junge Mädchen vom Frühstücken!“ meinte der Baron launig. „Was wissen sie überhaupt vom Essen? Wie sie’s aushalten, weiß ich nicht, das Capitel von der Ernährung junger Damen ist bekanntlich eines der dunkelsten –“

In diesem Augenblick kam, dem alten Diener nach, der den Kaffeetisch aufzuräumen begann, eine bejahrte Dame aus dem Saale hervor und auf die Herren zu. Sie sah sehr aufgeregt aus, und ihre Finger zitterten nicht minder als ihre Stimme, da sie, den Aermel des Barons fassend und sich zu ihm neigend, flüsterte: „Gott im Himmel, Bruder, sie sind fort – fort!“

So leise, daß der Kammerherr sie nicht hätte vernehmen sollen, waren diese Worte nicht gewesen, allein dem Baron schien es auch gar nicht um ein Geheimniß zu thun zu sein. „Hören Sie, Brose?“ rief er lachend aus, „was sagt’ ich Ihnen? Hinein in’s Blau!“ Und sich gegen die Schwester wendend, fügte er scherzend hinzu: „Also, meine beste Kunigunde, beruhige Dich. Wir sind schon vorbereitet.“

Die Dame hatte während dieser Antwort ihre aus den Halbhandschuhen hervorsehenden Finger mit nervöser Unruhe in einander geschlungen, ja sogar ein wenig knacken lassen. Jetzt senkte sie die Rechte in die Tasche des Morgenkleides und sagte dazu zitternd wie vorhin: „Du mißverstehst mich, Leopold, es ist da nichts zu scherzen – aber ich kann hier –“

Herr von Brose fing den Blick auf, der zu ihm hinüberstreifte. „Meine Freunde,“ sprach er mit einem gewissen theilnehmenden Wohlwollen, „ich bitte Sie! Sie werden doch nicht an mich denken? Ich –“

„Nichts da, Brose, nichts da! Sie bleiben!“ unterbrach Treuenstein ihn etwas ungeduldig, „und Du, liebes Kind, laß es jetzt genug sein. Ich habe unserem alten Freunde eben explicirt, daß die beiden Kleinen einen Morgenritt lieben –“

„Und mißverstehst den Fall gänzlich,“ fiel Kunigunde gleichfalls gereizt ein. „Entschuldigen Sie, lieber Kammerherr, mein Bruder will es so! Es ist keiner von diesen Morgenritten, die mir gleichfalls ein Greuel, obgleich Du sie ja womöglich noch darin bestärkst! Sie sind fort, sage ich Dir, fort –“

„Fort? Was heißt das? Wohin?“ fragte der Baron noch ungeduldiger, fast verdrießlich.

„Gott im Himmel, Bruder, wie Du bist! Wenn wir das wüßten! Ihre Jungfer ist mit, und –“

„Unsinn, Unsinn!“

„Ihre Betten sind unberührt, in den Schränken und Schubladen ist eine gräuliche Confusion –“

„Kunigunde, Du phantasirst!“

„So lies das!“ sagte sie bebend und ihre Finger brachten aus der Tasche ein einigermaßen zerknittertes Billet hervor. „Das lag auf ihrem Tisch – da hast Du es! Das ist Deine sündhafte Nachsicht.“

Der Bruder nahm ihr das Papier aus der Hand. Anfangs runzelte er beim Lesen ein wenig die Stirn, bald aber erholte seine Miene sich immer mehr, und endlich in Lachen ausbrechend, rief er: „Das ist ganz kostbar, Brose! dies geht auch Sie an – schmeichelhaft, bei Gott!“ Und ohne auf das entsetzte „aber Leopold!“ der Schwester zu hören, las er:

     „‚Tante!

Wir wissen es durch Deine Worte und auch aus eigenen Beobachtungen, daß Herr von Heimlingen sich Hoffnung auf Eine von uns macht und von Dir, sowie von Papa Excellenz in solcher Thorheit bestärkt wird. Jetzt, wo auch der Kammerherr vermuthlich in gleicher Absicht auf die Andere anlangte, erklären wir Dir und Papa Excellenz, daß wir unsere Freiheit über Alles lieben und jeden Zwang auf das Tödtlichste hassen. Wir gehen – dann seid Ihr uns los. Suchet uns nicht, – Ihr werdet unser stilles Asyl nicht entdecken. Gedenket unser, wenn Ihr es vermögt, ohne Thränen.

Eugenie. Esperance.‘“

„Spötterinnen, schöne Spötterinnen!“ seufzte Herr von Brose mit einem etwas schmachtenden Aufblick. „Wer hätte solche Bosheit –“

„Warten Sie, Freund! Die Nachschrift!“ unterbrach ihn der Hausherr und las von Neuem:

„‚Nachschrift. Selinde‘ – so haben die Uebermüthigen ihre Jungfer Sophie umgetauft! – ‚Selinde, die Aermste, besteht einen harten Kampf zwischen Liebe und Anstand, zwischen Gehen und Bleiben. Der Himmel erspare Euch den Vorwurf, auch dies sanfte Herz gebrochen zu haben durch die Härte gegen ihre Gebieterinnen. Tröste Du unseren Gast, Tante, und pflanze, wenn Herr von Heimlingen sich wirklich ernstlich erschießt, für uns drei Lilien auf sein Grab.

Die betrübten Obigen.‘“

Der Kammerherr seufzte noch einmal etwas von „schönen Spötterinnen“, der Baron nickte ihm und seiner Schwester vergnügt zu, die Letztere aber sprach mit noch immer zitternder Stimme und nervösem Fingerspiel: „Ich begreife Sie nicht, meine Herren! Ich – das fühle ich! – überwinde diese Effronterie niemals. O, ich habe es Dir oft genug gesagt, Leopold, diese Eugenie ist ein wahrer Unsegen für unser Kind! Ihre Etourderie –“

„Nun, nun,“ unterbrach der Bruder sie mit schalkhaftem Ausdruck, „darüber habe ich, wie Du weißt, meine besonderen Ansichten. Aber schließen wir ab. Sie sind also davon, und dieser Uebermuth verdient eine kleine Lection, die den wilden Vögeln heut’ Abend auch nicht geschenkt sein soll.“

„Heut’ Abend? Täusche Dich nicht!“ jammerte Fräulein Kunigunde. „O, mein lieber Kammerherr, mahnen Sie ihn mit mir zum Ernst! Denken Sie, die beiden wilden Mädchen mit der albernen Zofe – im Lande, der liebe Gott weiß wo und wie! Bruder, es ist kein kindischer Scherz! Es ruinirt sie! Sie haben es mir neulich ja gedroht – Eugenie, mein’ ich –, als ich ihnen ein wenig ernst über Herrn von Heimlingen sprach, der in Deinen und meinen Augen –“

„Meine Liebe, das war zu viel gesagt!“ unterbrach der Hausherr sie mit sich faltender Stirn. „Brose, Sie sind ein alter Freund und dürfen auch Ernsteres hören als diese Thorheiten. Heimlingen ist von guter Familie, wohlhabend, ein ganz artiger junger Mann – er ist unser Nachbar und ist neulich Kammerjunker geworden; man hat ihn bei Hofe gern. Entscheidet sich eines der Mädchen für ihn – gut, ich würde kaum viel einzuwenden haben. Allein zuerst, liebe Kunigunde, muß er sich doch selbst entscheiden, dächte ich, und dann ist auch meinerseits nicht einmal an Zureden zu denken. Beide sollen völlig frei wählen, und vor allen Dingen hat es weder mit der Einen noch mit der Anderen Eile. Ich behalte sie gern noch bei mir. Und nun genug von diesen Thorheiten. Kommt, Brose; wir wollen einmal wieder unsere Stärke im Billard messen.“

Treuenstein’s Sorglosigkeit sollte jedoch alsbald einen etwas ernsteren Stoß erhalten. Seine Voraussetzung, daß die jungen Mädchen auch diesen größeren Ausflug wie gewöhnlich zu Pferde und in Begleitung des alten Leibjägers Jonas unternommen – der Gedanke, daß auch die Zofe habe reiten müssen, machte den Baron sehr heiter –, bestätigte sich keineswegs. Als durch den Kammerdiener Fräulein Kunigundens Schrecken draußen unter den Leuten bekannt wurde, meldete der Gutsverwalter, daß Fräulein Esperance gestern Abend bei ihm für sich und ihre Cousine – so nannten sich die Mädchen – einen Wagen auf drei Uhr Morgens bestellt halte. Man sollte stille sein, damit die alten Herrschaften nicht gestört würden. Natürlich war dem Befehl entsprochen worden. – Esperance war die unumschränkte Herrin des Hauses, und es war auch nicht die erste Fahrt dieser Art. Der Verwalter war bei der Abreise respectvoll zugegen, half den Damen beim Einsteigen, reichte dem Kutscher einen Koffer hinauf und verbeugte sich schmunzelnd, da Esperance ihm zuflüsterte: „Reinen Mund, lieber Herr Müller! Ein Scherz!“

(Fortsetzung folgt.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 164. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_164.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)