Seite:Die Gartenlaube (1865) 580.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Die Seejungfer dachte in ihrer dunklen Ecke, das sei geradezu gottlos gesprochen; denn die zwölf Apostel, die jeder Christenmensch schon in der Schule auswendig lernen müsse, seien längst im Himmelreich, und Zeichen und Wunder geschähen nicht mehr. Sie hütete sich indeß wohlweislich, ihre Selbstbetrachtungen laut werden zu lassen, und begnügte sich, in ihrer Aufregung mittelst des Schürzenzipfels die dicke Rostschicht von dem alten Kirchenschlüssel abzureiben – eine Restauration, die sie später, bei ruhigem Nachdenken bitter bereute, denn sie kostete eine frische Schürze.

Magdalene sah den jungen Mann an, als er so mit tiefer, wohlklingender Stimme sprach. Aus seiner mehr breiten, als hohen Stirne, die aber glatt und fest wie von Erz sich wölbte, lag eine merkwürdige Klarheit und Ruhe; das ganze übrige Gesicht trug dasselbe Gepräge, und nur ein leises Zucken der sehr beweglichen, seinen Nasenflügel und ein leichten Beben der festgeschlossenen Kippen ließen dann und wann einen erhöhten Wellenschlag in seinem Inneren vermuthen. Auch jetzt erschien jener eigenthümliche Zug, begleitet von einem seltsamen Aufleuchten seiner Augen, und Magdalene, die durchaus, trotz alles Nachdenkens, den Sinn seiner Worte nicht zu erforschen vermochte, fand in dieser einen Bewegung den Schlüssel zu seinen Reden – es war Spott, abscheulicher Spott. Er sprach absichtlich in nebelhaften Bildern, auf die sie nichts erwidern konnte, um sie für ihre ersten, raschen Antworten büßen zu lassen. Ihr südliches Blut wallte auf. Sie wandte sich hastig und unmuthig ab und sagte, indem sie die kleine, naseweise Weinranke von draußen abriß:

„Ihr Apostel scheint sehr parteiisch zu sein, was seine Gnadenbeweise betrifft. An unserem armen Kloster wenigstens ist er bis jetzt vorübergegangen, und doch thäte gerade hier mancher belasteten Menschenseele ein wenig Sonnenschein recht noth.“

Jetzt erschien in der That ein schelmisches Lächeln auf den Kippen des jungen Mannes.

„Wahrhaftig? Ist er bis jetzt vorübergegangen?“ fragte er. „Nun, dann kann ich Ihnen wohl versichern, daß ich von ganzem Herzen wünsche, er möge so schnell wie möglich hier einkehren.“

Er bog sich bei diesen Worten nieder, um in ihr Gesicht zu sehen. Mit einer heftigen Bewegung fuhr sie in die Höhe, wobei eine ihrer langen Flechten sich löste und am Fensterkreuz hängen blieb.

„Sieh da, Ihr schönes Haar!“ sagte Werner, indem er sie befreite. Magdalenens Gesicht aber war plötzlich mit einer flammenden Nöthe übergossen. Sie warf dem jungen Mann einen zornsprühenden Blick zu und war mit zwei Sprüngen zur Thür hinaus.

Werner sah ihr erstaunt nach. Die Seejungfer aber kam aus ihrem Winkel hervor und sagte schüchtern und verlegen, indem sie ihm den Kirchenschlüssel hinhielt:

„Nehmen Sie’s nur ja nicht übel, Herr Werner, daß das Lenchen so fortgelaufen ist. Aber so was, wie von schönen Haaren, das darf man dem Mädchen nicht sagen… Sie weiß wohl, daß sie von Kindesbeinen an der arme, häßliche Tater gewesen ist, und aus einem Raben kann sein Lebtag keine Taube werden – das weiß sie auch… Die Nachbarsleute können die hellen Haare meiner seligen Schwester nicht vergessen – ich freilich auch nicht – und da hat’s das Lenchen gar manchmal anzuhören gekriegt, daß sie so aus der Art geschlagen ist. Sie kann ihre pechschwarzen Haare nicht ausstehen, und wenn ihr manchmal so ein Zopf vornüber fällt, da erschrickt sie ordentlich… Sie guckt das ganze Jahr in keinen Spiegel, und wir haben auch keinen im ganzen Hause. Je nu, warum denn auch? Setze ich am Sonntag meine Kirchenhaube schief auf, so rückt sie’s Lenchen wieder gerade.“

Werner lächelte und nahm schweigend den Schlüssel in Empfang. Die Seejungfer begleitete ihn an die Treppe und knixte, bis er drunten im dunklen Gang verschwunden war. Gleich darauf trat Magdalene wieder in die Stube. Ihr Gesicht glühte und ihre Züge waren in heftiger Bewegung. Die Seejungfer sah sie ängstlich von der Seite an, wie sie sich schweigend an’s Fenster setzte und ihre Arbeit wieder aufnehmen wollte; aber die sonst so feste Hand zitterte, und nach allen Seiten flogen Fingerhut, Scheere und Arbeit vom Tisch herunter. Als sie sich danach bückte und etwas von „ungeschickt“ und dergleichen murmelte, sagte die Muhme:

„Laß jetzt gut sein, Lenchen; Du bringst im Augenblick doch nichts zurecht… Wie kannst Du nur aber auch gleich so wild werden! … Er hat Dir ja doch eigentlich nichts gethan.“

„Ausgespottet hat er mich!“ rief jetzt das Mädchen mit ausbrechender Heftigkeit, und in ihren glühenden Augen funkelten Thränen. „Verhöhnt hat er mich! … O, diese Herzlosen, da stehen sie auf ihren Geldsäcken und sehen vornehm und spöttisch auf die herab, die, wie sie wähnen, im Staube ihr elendes Dasein hinschleppen! … Weil ich mit diesen meinen Händen mir mühsam den Unterhalt gewinnen muß, darum bin ich schlechter, als der, den das Glück in eine goldene Wiege legte, der seine feinen Finger bedachtsam ansieht und meint, sie seien nur da, um seinen hochgeborenen Körper zu vervollständigen… Weint und lacht das reiche, in Spitzen gewickelte Kind etwa anders, als das im groben Kissen? … Und sieht das brechende Auge des reichen Sterbenden in einen anderen Himmel, als das des Bettlers? … Ich kann bewundernd zur Geistesgröße aufblicken, kann mich demuthsvoll vor der Tugend beugen, kann das Talent verehren – aber niemals werde ich dem Mammon huldigen, der seinen Fuß grob und schwerfällig Allem und Jedem auf den Nacken setzen will und da schonungslos und kalt hintritt, wo der wärmste und weichste Punkt im Herzen des Armen sitzt! … Und darum wehre ich mich auch bis zum letzten Athemzug, wenn solch ein Gewaltiger daherkömmt und meint, mich beleidigen zu können.“

Nach diesem leidenschaftlichen Ausbruch schwieg Magdalene einen Moment. Die Seejungfer, gewöhnt, Alles, was das junge Mädchen in solcher Aufregung sprach, unverstanden an ihren Ohren vorüberbrausen zu lassen – es war aber auch für diese Ohren eigentlich nicht gesagt – hatte ihre Arbeit wieder aufgenommen und benutzte nun diesen stillen Augenblick, indem sie sagte:

„Ja, siehst Du, Lenchen, so geht’s, wenn man vornehmen Leuten allzu dreist antwortet. Hättest fein artig Deinen Knix machen sollen und weiter nichts – so war’s zu meiner Zeit, und darum ist mir auch Keiner zu nahe gekommen.“

„Muhme,“ rief das junge Mädchen wie außer sich, „wenn Ihr mich ein wenig lieb habt, so sagt mir nicht solche Dinge! Bedenkt Ihr denn nicht, daß Ihr mich damit schwer kränkt? … Inwiefern habe ich den Mann herausgefordert? … Ich habe ihm geantwortet, wie ich antworten mußte! … Was hat er hier in unserer armen Wohnung zu suchen? … Ist noch je einer der Herren selbst gekommen, den Schlüssel von Euch zu holen? … Das ist so Einer, der sich das Elend ansieht, um es nachher beschreiben zu können. Man muß nur in dies Gesicht blicken. So mag seine Tante, die alte Räthin Bauer, in ihrer Jugend ausgesehen haben – das sind Züge von Erz und Eis, an denen mag wohl die Gluth und das Empfinden anderer Herzen ungefühlt und unverstanden zerstieben.“

„Es kann schon sein, wie Du sagst; davon verstehe ich nichts,“ meinte die Seejungfer, „aber ein schöner Herr ist er doch, und gegen den Jacob ist er auch gut,“ fuhr sie fort. „Der Alte weiß vor Freuden über sein neues Logis nicht aus, noch ein, und ich habe ihm in die Hand hinein versprochen, daß ich heute Abend, wenn es dunkel ist, mit Dir hinkommen will – er hat keine Ruhe, bis wir Alles gesehen haben.“

Magdalene antwortete nicht. Sie hatte das Heft mit Leberecht’s Gedichten leise in das große Buch gelegt, und als sie die Klammern schloß, da rollten ein paar heiße Thränen auf den alten Folianten herab – da drinnen lagen ja die ganzen Qualen eines gebrochenen Herzens eingesargt!

(Fortsetzung folgt.)




Die Pferde der Diligence.

Oft schon ist darüber geklagt worden, daß mit den Eisenbahnen und den Dampfern die Poesie des Reisens von der Erde verschwunden sei, und nicht selten schweift der Blick des älteren Geschlechts bedauernd, ja fast verlangend zurück in die schönen Zeiten, in welchen fechtende Handwerksburschen die malerische Staffage der Landschaft bildeten, der Hauderer wie ein Pascha über das Leben seiner Mitmenschen verfügte und die gelbe Kutsche das gefeierte Wahrzeichen des durch sie mit der übrigen Welt verbundenen Landstriches

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 580. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_580.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)