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erheben, das uns auf bessere Gedanken bringt, und der Minnesänger wieder das Wort ergreift.

Daß die hundert Jahre bald um sind, merken wir sofort daran, daß jetzt der rechte Freier auftritt: der Königssohn Sigurd von Seeland. Die verzauberte Burg war längst dem Bereich der Sage verfallen; viele Freier sollten bereits in dem Dornenwald verunglückt sein. Trotzdem wagte Sigurd das reizende Abenteuer. Er dringt bis zum Zauberbronnen der guten Fee vor, die dem Schlummernden im Traum erscheint und ihm sein Glück verkündigt (fünftes Bild). Am Morgen sieht Sigurd vor sich die Dornenburg, ein weißer Falke läßt sich auf seine Schulter nieder; er besteht einen siegreichen Kampf gegen einen schwarzen Ritter und seine Hunde, und ein muthiges Jagdlied singend dringt er vorwärts. Da erspäht der weiße Falke einen schwarzen, der bewachend die Burg umkreist, schwingt sich empor, tödtet ihn und verschwindet. Ein Donnerschlag verkündet die Lösung des Zaubers, die Dornenknappen ziehen dem jungen Helden bewillkommnend entgegen, die Dornen verwandeln sich in Rosen und zwischen den erwachenden Blumen hin eilt Sigurd hinauf zum Thurm – wo wir ihn im sechsten Bilde das schlummernde Dornröschen zum neuen Leben wach küssen sehen, während im Banketsaal noch ein Dornenwall die Schläfer verbirgt. Aber nun erwachen auch sie – wie vom Schlummer einer kurzen Stunde – Fürst und Fürstin erheben das Auge, der Schenke gießt die Becher voll, der Koch vollendet den vor hundert Jahren angesetzten Schlag auf den Küchenjungen, das Feuer brennt, die Pferde wiehern, die Hunde bellen wieder und – wir sehen’s im letzten Bilde – Sigurd und Dornröschen erscheinen Hand in Hand an der Thür, begleitet von der Schaar der Dornenknappen, sogar die verunglückten Freier werden wieder lebendig, und das Märchen endet als ein redliches deutsches Volksgebilde mit dem Glück und der Freude aller Gerechten, – geradeso, als hätte es das Großmütterchen am Spinnrocken in der Dorfstube erzählt. Die Künste haben brav gewirkt, sie haben nichts am redlichen Märchen verdorben, sie haben es treu gepflegt und durch ihre Weihe nur veredelt und verklärt.

Und damit sind wir mit der Hauptsache des schönen Festes zu Ende; denn wenn auch das Walten der Künste noch auf Tafel und Ball seinen erhebenden Schimmer warf, so sind doch solche Dinge zu gewöhnlich und zu vergänglich, um noch besonders beschrieben zu werden.

Dagegen halten wir es für Pflicht, die Namen der Künstler zu nennen, die zu diesem Winterfeste der Künste zusammenwirkten. Der Verfasser der Märchendichtung des Dornröschens ist Livius Fürst; sie ist seitdem bei J. J. Weber in Druck erschienen; der Komponist der Dornröschen-Musik und Gesänge A. Tottmann. Die lebenden Bilder stellten Muttenthaler, Geißler, Neumann, Zucchi, Waibler, Souchon und Toller; die Maschinerie leitete Architect Mothes, die musicalische Direktion v. Bernuth. Der Minnesänger war Schauspieler Herzfeld, und der Maler der Decorationen Cellarius. So hat denn der Leipziger Künstlerverein abermals glänzend bewiesen, wie lohnend es ist, daß er sich nicht blos auf die bildenden Künstler beschränkt, sondern auch Dichter, Musiker, Sänger und Schauspieler in seinen Kreis gezogen hat.

Fr. Hofmann

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Die nationale Bedeutung der Genossenschaften.
Von H. Schulze-Delitzsch.
I.

Ein geschichtlicher Rückblick, anknüpfend an eine der wichtigsten Fragen der Gegenwart, stellt an Ihre Aufmerksamkeit heute mehr als gewöhnliche Anforderungen. Mitten in gedeihlicher Entwickelung, welche seine Anerkennung bis in das ferne Ausland zur Folge hat, wird das deutsche Genossenschaftswesen von einer gewissen Seite her angefochten, indem man ihm die alte ständische Gliederung gegenüber stellt. „Fort mit den freien Genossenschaften, dafür corporative Bindung unter Schutz und Aufsicht der Obrigkeit“ – „Nieder mit der Gewerbefreiheit, dafür Zünftigkeit aller Arbeitsgebiete“ – „Weg mit dem Verfassungsstaat und seiner Gleichheit Aller vor dem Gesetz, dafür den Ständestaat mit einem besonderen Arbeiterstande, natürlich neben den andern höheren Ständen“: das sind die Losungsworte, mit denen die Reaction in den Kämpfen unserer Tage Bundesgenossen wirbt unter demjenigen Theile der Bevölkerung, auf dessen geistiger, sittlicher und wirthschaftlicher Niederhaltung allein ihr ganzes System beruht, unter den Handwerkern und Arbeitern. Deßhalb ist es durchaus an der Zeit, die ausgeworfene Lockspeise einmal schärfer in das Auge zu fassen. Wir haben ja diese corporative ständische Verfassung Jahrhunderte hindurch in unserem Vaterlande gehabt, und ebenso hat die freie Genossenschaft bei uns eine Geschichte, so daß wir aus dem, was beide in der Vergangenheit geleistet haben, am Besten ihre Bedeutung für Gegenwart und Zukunft bemessen können.

Jedenfalls hat die letztere vor dem Ständewesen die Anciennetät in der Geschichte unseres Volkes voraus. Gleich beim ersten Auftreten der germanischen Stämme begegnen wir den Genossenschaften bei ihnen, als einer Grundform ihres nationalen Lebens, in welche sich ihr ganzes Gemeinwesen gliedert. So finden wir sie in engern und weitern Kreisen, für öffentliche und Privatverhältnisse, als das Element, welches den gesellschaftlichen und staatlichen Verband vermittelt. Der Stamm-Genossenschaft fügte sich die Gau- oder Mark-Genossenschaft ein, und wie die Volksgemeinde, das Organ der ersteren, in offner Versammlung über Krieg und Frieden und die wichtigsten Interessen des Stammes entschied, so sprach der Ding der Gaugenossen im Ganzen oder in Abtheilungen (nach Hundertschaften) Recht, und der Umstand der dazu gehörigen Freien ordnete die einschlagenden Angelegenheiten. In gleicher Weise bestimmten die Märker, die Genossen im Besitz einer Feldmark, über die darauf bezüglichen Verhältnisse, besonders das gemeinschaftliche Eigenthum an Wald und Weide u. dergl. Bei Kriegs- und Beutezügen endlich bildeten sich Kampfgenossenschaften unter gewählten Führern, ja selbst eine Anzahl Stämme trat zeitweis zu einem solchen Verbande zusammen bei gemeinsamer Gefahr oder zu einer großen, gemeinsamen Unternehmung. So ist z. B. das Brechen der römischen Macht im Teutoburger Walde einer solchen Vereinigung deutscher Stämme zu danken.

Dabei erscheint als höchst bemerkenswerth: Die charakteristischen Merkmale, welche die genossenschaftlichen Verbände von damals kennzeichnen, sind im Wesentlichen dieselben, die wir noch heute, trotz der veränderten Aufgabe, an unsern Genossenschaften wahrnehmen. Mit der Einordnung ihrer Glieder in eine machtvolle Gemeinschaft vereinigen sie den freiesten Spielraum für das individuelle Gebahren, die Eigenart eines Jeden. Gerade in der Solidarität, dem Einstehen Eines für Alle und Aller für Einen, bieten sie dem Einzelnen erst die sichere Unterlage für seine persönliche Geltung, in der Gegenseitigkeit die beste Gewähr für seine Selbstständigkeit. Wie Jeder der Gesammtheit der Genossen verantwortlich war, standen diese wiederum für ihn ein, was in der Gesammtbürgschaft der engern Genossenschaftskreise (der Zehntschaften) bei unerlaubten Handlungen einen prägnanten Ausdruck fand. Aber nicht blos die Solidarität der Pflicht, wie sie sich in dieser Haft kund giebt – nein, ganz besonders die Solidarität des Rechts gilt uns als der eigentliche Schlußstein der Organisation, der es hauptsächlich bewirkt, daß die freie Persönlichkeit in der Gesammtheit nicht untergeht, sondern die beste Stütze in ihr findet. Die vollste Selbstbestimmung und Selbstverwaltung unter unmittelbarer Betheiligung aller Genossen bei Ordnung der gemeinsamen Angelegenheiten sind es, welche schon damals den Gipfelpunkt des Ganzen bildeten, wie wir noch jetzt in unseren Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften unverrückbar daran festhalten. Und so erblicken wir in diesen genossenschaftlichen Verbänden Hort und Kern der Freiheit und Selbstregierung unseres Volkes, eines der bedeutsamsten Momente seiner Geschichte.

Indessen reichte diese Organisation für die Bedürfnisse eines

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 254. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_254.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)