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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Benehmen gegen die Einquartierten bestärkten diesen Verdacht. Selbst bei den Neugierigen fand Aufreizung ein geneigtes Ohr, liebten sie doch die Veränderung, und wie lange war es her, daß in den Straßen von Paris Gefechte geliefert worden?

Da horch! Trommelwirbel! Alles wird still. Es beginnt die Feier des Tages, der seine Weihe durch die Einsegnung der Fahnen erhalten soll. Es ist dem Franzosen ein fremder Trommelwirbel. Da schreiten sie heran, die Sieger von Montmartre und Waterloo! Hurrah! Hurrah! wie die jungen, strammen Kerle die Schlägel rühren, wie das Kalbfell rasselt, wie die preußischen Wirbel anklingen an die Häuser von Paris, die hellen Pfeifen schrillend durch die Gassen tönen! Dann setzt die Musik rauschend ein und die Tritte hallen im Gleichmaß. Heute sind sie besser aufgeputzt, als am Tage des ersten Einmarsches, die Jungen aus der Kurmark, die flotten, pfiffigen, geriebenen Berliner. Sie gelten für großmäulig, aber sie haben gezeigt, daß sie schlagen können; man frage den General Thilemann, ob bei Waterloo Muth und Arm des Berliners nicht ebenso bei der Sache gewesen sind, wie sein Mundwerk? Die stämmigen Pommern, die schönen schlanken Westphalen – Alles zieht von der Straße Bourbon her gegen das Marsfeld.

Und nun – da flattern sie im Winde hoch – zum ersten Male über den Häuptern der siegfreudigen Soldaten, die neuen preußischen Fahnen; es ist, als ob vom deutschen Lande her ein Windstoß grüßend herüberwehe und sie lustig bewege und selbst die wenigen Stücklein Zeug, welche die Kugeln an den Stangen der alten Fahnen gelassen haben, spielen, sich hebend, im Winde und flüstern einen leisen Gruß den Nachkommen derer, die vor langen Jahren zuerst die zerschossenen Banner aus dem Kampfe getragen. Dreizehn Unterofficiere, jeder geziert mit dem eisernen Kreuze, tragen die Fahnen und Standarten. Sie haben die Neulinge und die Alten aus dem Quartier des Königs abgeholt. Ein glänzendes Geleit wird dieser kleinen Schaar gegeben. Mit festem Tritte, stolz blickend, umgiebt die Fahnenträger das erste Bataillon des ersten Garderegiments zu Fuß. An der Spitze dieses Geleites erblickt man zwei junge, schlanke Officiere. Sie schauen muthig und heiter um sich, auf ihre Krieger, auf die drängende Volksmenge, ihre jugendliche Brust hebt sich bei dem Gedanken, daß auch sie nicht fern geblieben sind dem großen Streite für das Vaterland, für die Rechte der Unterdrückten. Diese beiden jungen, stattlichen Männer, diese Officiere vor den wallenden Fahnen sind Friedrich Wilhelm, der Kronprinz von Preußen und sein Bruder, Prinz Wilhelm, der heute als König Wilhelm der Erste auf dem Throne Preußens sitzt. Sie haben den ehrenvollen Auftrag erhalten, die preußischen Fahnen auf das Marsfeld von Paris zu geleiten.

Dort ging es lebendig und militärisch bunt her. Zur Fahnenweihe waren commandirt: fünf Regimenter Infanterie, drei Cavalerie-Regimenter. Die Infanterie stand in Colonnen zum Viereck geschlossen, die Cavalerie in der Fronte gegen das Viereck und gegen die Stadt gekehrt, in dem innern Raume die Detachements eines jeden Regiments, die Zahl von siebenzehn Bataillonen, neun Escadronen ausmachend. Die Garde und die Grenadiere standen auf dem Erdwalle, der das Marsfeld umgab.

Wunderbare Umwandlungen und Bestimmungen! Jenen Erdwall hatte man aufgeworfen, als König Ludwig der Sechszehnte das Fest der Versöhnung auf dem Marsfelde mit seinem Volke feierte; der letzte große militärische Act war das Champ de Mai gewesen, welches an eben der Stelle, wo heute die siegreichen Preußen standen, der gestürzte Kaiser über seine tapfere, glänzende Armee gehalten. Inmitten des Waffenglanzes stand ein schlichter Feldaltar. Vor demselben der Feldprobst Offelsmeier. Heran zogen sie, die Träger der Fahnen, an ihrer Spitze die Prinzen. Welche Gefühle durchkreuzten sich im Innern aller dieser Männer, als sie die Brücke überschritten, die zu dem Marsfelde führt! Es ist die Brücke von Jena, die Ihr betretet, preußische Männer! Aber Euer Tritt am 3. September 1815, der Tritt des Siegers, hat die Schmach in den Boden gestampft, Eure Fahnen haben den verhaßten Namen zugedeckt, Eure Waffen die gähnende Scharte aus, gewetzt.

Ein lautes Hurrah! empfing die Kommenden. Musik, Trommeln fielen betäubend ein. Tausende von blitzenden Gewehren klirrten empor und senkten sich wieder und bildeten dann eine starre Reihe von Erz, funkelnd im Glanze der Sonne. Die Fahnen zu ehren präsentirt man das Gewehr. Rechtsum schwenken die Fahnenträger und marschiren in den Raum, wo sie sich mit der Fronte gegen den Feldaltar aufstellen.

Hinein in das gewaltige Viereck reiten, gefolgt von glänzender Suite, Kaiser Alexander von Rußland und König Friedrich Wilhelm von Preußen. Welche Augenblicke nach so langen Jahren der Sorge, der Unruhe, des Kampfes! Tiefe Stille lagert sich über der ungeheueren Menschenmenge. Die Franzosen in dichten Massen das ungewohnte Schauspiel betrachtend, die Preußen gefesselt durch das Commando und den Ernst der Stunde. Die Tambours schlagen zum Gottesdienst, alle Fahnen senken sich, der Feldprobst erhebt seine Stimme. Die große Entfernung läßt seine Worte nur den Zunächststehenden hörbar werden. Nur einzelne, überlaut gerufene, durch die Begeisterung des Redners weit hinausgetragene Sätze seiner Ansprache werden von den letzten Soldaten verstanden, aber Alle ergreift es mächtig, als sie die Vordersten ihre Häupter senken sehen; der Augenblick ist gekommen, wo im stillen Gebete der Sieg für die neuen Fahnen erfleht wird.

Vorbei ist aber plötzlich die andächtige Pause. Marsch schlagen die Tambours, wie Gewehrfeuer rollen die Wirbel das Feld entlang, schmetternd jubeln Pauken und Trompeten dazwischen in den Tönen des Pariser Einzugsmarsches, aus der gesenkten Haltung erheben sich die Fahnen, die neugeweihten, lustig tanzen und flattern die preußischen Farben, man sieht sie bald hier, bald dort, denn jeder Commandeur hat die Fahne seines Regimentes übernommen und bringt sie demselben. Tausend gute Wünsche, Gelöbnisse, Grüße schweben zur blitzenden Fahnenspitze empor; die alten, wohlbekannten Zeichen werden wie theuere Freunde empfangen. Da ist sie wieder in der Mitte ihrer Tapferen, die Fahne des braven zweiten westpreußischen Regimentes. Sie trägt einen besonderen Schmuck an ihrer Stange. Silberne Ringe umspannen diese. Die Fahne hat in dem erbitterten Kampfe bei Ligny geweht, sie ist in Gefahr gewesen dem Feinde in die Hand zu fallen, drei preußische Männer: der Fähnrich Schulze, die Musketiere Schwenke und Butzke haben die alte Geliebte des Regimentes gerettet. Die Namen der drei Leute klingen nicht gerade poetisch, aber ihre herzhafte That trägt Poesie genug in sich, die Poesie des Kampfes. Der Fähnrich schwang sich, um die von allen Seiten bedrohte Fahne zu retten, über eine Hecke zur Seite der Dorfgasse, welche unbesetzt war und ihm Aussicht auf Rettung bot. Von der Gewalt des Sprunges zu Boden geschleudert hielt Schulze seine Fahne dennoch fest. Dicht über seiner rechten Hand waren drei Kugeln in den Fahnenstock geschlagen, zwei von des Fähnrichs Verfolgern eilten herbei, faßten das untere Ende der Fahne und suchten sie ihm zu entreißen. Während dieses Ringens brach der Fahnenstock und schon meinten die Franzosen wenigstens die untere Hälfte als Beute entführen zu können, da schallt dem Fähnrich von der andern Seite der Hecke der Ruf zu: „Halten Sie fest, Herr Fähnrich.“ Die beiden Musketiere stürzen herbei, von ihren Bajonneten durchbohrt fallen die Franzosen. Die Fahne ist gerettet.

Heute wiegt sie sich stolzer im Winde, sie scheint verjüngt, die silbernen Verbände, welche die bei Ligny ihr geschlagene Wunde zusammenhalten, drücken den Fahnenstock nicht. Im Schafte die ehrenvolle Narbe, in der Spitze der Lohn dafür: das Kreuz von Eisen.

Die Glieder des Vierecks lösen sich auf. Eine ungeheuere Fluth von Bewaffneten ergießt sich über das Marsfeld. Sie stellen sich bald wieder in Ordnung. Die Monarchen reiten die Linien entlang. Dann marschirt Alles in Geschwindschritt vorüber, die detachirten Corps führt General von Pirch der Zweite. Donnernd entbeut das Geschütz den Abziehenden seinen Gruß; über die mächtige, besiegte Stadt dahin trägt der Wind die Wolken des Dampfes, der vorbeistreift an den entfalteten Feldzeichen. Preußisches Pulver! – Preußische Fahnen! – Hundert und ein Mal krachen die Kanonen! weit hinein in das Land schallt ihre eherne Stimme. Tragen die Lüfte vielleicht diese Donnerrufe über das Meer hinweg bis zu dem Schiffe, auf welchem der gestürzte Titan seinem Felsengrabe Sanct Helena zugeführt wird?

Als die preußischen Truppen abgezogen sind, macht sich der verhaltene Mißmuth der Franzosen Luft. Man hatte die kleinen, oft unscheinbaren Leute heute wieder betrachtet, ihre einfache Ausstattung, ihre plumpen Waffen gemustert. Und diese „Halbwilden“ wie man sie nannte, hatten die große Armee, die im glänzenden Kriegsschmucke einherzog, verglichen mit den dämonisch

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 174. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_174.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)