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Seite:Die Gartenlaube (1864) 364.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Chevalier, dem die Anwesenheit Vergy’s unbekannt war, reichte seinen Arm der Gesandtin, um sie in das Gesellschaftszimmer zu führen.

„Kennen Sie einen Herrn von Vergy?“ fragt die Dame.

„Nein, Madame. Ich habe keine Bekanntschaft mit Lumpen und Aufschneidern.“

„Aber, mein Gott, er rühmt sich Ihrer Freundschaft.“

„Er ist ein Lump, Frau Gräfin, der sich ein Ansehen geben und Jedermann glauben machen will, er verkehre mit den ersten Leuten des Staates. Ich verleugne seine Bekanntschaft.“

„Halten Sie wenigstens Frieden.“

Man trat in das Gesellschaftszimmer. Hier war die auserlesenste diplomatische Versammlung zu finden, und d’Eon bemerkte mit Erstaunen, daß Vergy ganz vertraulich in eifriger Unterhaltung mit dem Grafen Guerchy begriffen war.

„Die Herren kennen sich?“ fragte der Graf, dem Chevalier den Gast vorstellend.

„Ich kenne diesen Herrn nicht,“ betonte d’Eon. „Ich erwarte seine Empfehlungsbriefe.“

„Sie kennen mich nicht, Chevalier?“

„Nein, mein Herr. Auch der Herr Gesandte küßt Ihnen die Wangen nicht, obwohl er mit Ihnen bei der Herzogin von Villeroy und Frau von Lirré soupirt hat.“

Die ganze Versammlung durchtönte ein Gemurmel des Erstaunens. Vergy war ihnen Allen nur eine ganz gewöhnliche Persönlichkeit, wie sie hundertweise in den Salons auftauchten. Hatte der Gesandte irgend einen Grund, seine Beziehungen zu Vergy zu verheimlichen?

„Ich habe nie mit Herrn de Vergy soupirt, und lerne ihn heute zum ersten Male kennen,“ sagte der Gesandte ruhig.

„Dann hat Herr de Vergy gelogen,“ entgegnete d’Eon mit gleicher Mäßigung.

„Diese Unverschämtheit, mein Herr, fordert Genugthuung,“ schrie Vergy wüthend.

„Ich könnte Ihnen eine solche geben, Herr von Vergy, wenn wir uns nicht in den Salons des Gesandten befänden. Ob ich den Degen dazu anwenden würde, ist eine andere Frage,“ sagte d’Eon.

Man sollte nun glauben, der Gesandte müsse einem Manne, den er in so beleidigender Weise desavouirte, die Thür gewiesen haben – keineswegs. Er begnügte sich, die Herren um Ruhe zu bitten, und Herr von Vergy blieb im Salon, woselbst er sich auf das Unbefangenste in die Conversation mischte.

Am folgenden Tage, als der Chevalier d’Eon von einem Spaziergange in seine Wohnung zurückkehrte, meldete sein Kammerdiener: „Herr von Vergy war hier. Er fragte nach dem Herrn Chevalier, und da ich ihm sagte, Sie seien um 9 Uhr zu finden, entgegnete er in hochfahrendem Tone: ‚Morgen um 10 Uhr bin ich hier. Sagt nur Eurem Herrn, ich hoffe er werde sich nicht verleugnen lassen?‘“

„Aha! ein Duell,“ dachte der Chevalier. Er war bei Lord Halifax zum Diner geladen. Bei seinem Eintritt in den Speisesaal fand er die Gesellschaft schon versammelt. Plötzlich trat der Gesandte, Graf Guerchy, auf ihn zu und fragte mit lauter Stimme: „Sie sind noch in London, Herr Chevalier? weshalb haben Sie nicht gestern schon Ihre Abschiedsbesuche bei Sr. britannischen Majestät gemacht?“

Der Chevalier glaubte zu träumen. Er wies jedoch bald den Gesandten mit kurzen Worten zurecht und erklärte, daß er nur dem directen Befehle des Königs nachkommen werde. Man ging zu Tische. Graf Guerchy, Lord Sandwich und Mr. Grenville baten den Chevalier, jeden Groll gegen Vergy zu vergessen und namentlich kein Duell anzunehmen. D’Eon weigerte sich. Halifax aber zog eine Schrift hervor, welche er dem Chevalier vorlegte und die er von demselben unterschrieben haben wollte. Die Schrift enthielt das Versprechen, niemals sich an Vergy’s Person mit den Waffen in der Hand rächen zu wollen.

Das war sehr auffällig. Welche Gründe hatte man, den Abenteurer zu schützen? D’Eon weigerte die Unterschrift. „Ich habe ein Billet für heute Abend zur Oper genommen. Es ist Zeit, daß ich gehe.“ Mit diesen Worten schritt der Chevalier zur Thür. Sie war verschlossen. „Eine Falle für den Bevollmächtigten der französischen Krone?“ rief d’Eon den Degen ziehend.

In diesem Augenblicke öffnete sich die Thür. Ein Gefreiter und acht Mann Gardesoldaten traten ein. Sie hatten die Bajonnete aufgepflanzt und besetzten den Eingang. „Unterschreiben Sie,“ rief Guerchy, „oder man wird Sie diesen Herren anvertrauen.“

„Das ist schreiende Gewalt, Herr Graf. Aber gerade diese Maßregel reizt meinen Widerstand. In Gegenwart der Soldaten unterschreibe ich nicht.“

Es entstand eine sehr bewegte Scene. Der Wortwechsel ward so heftig, daß die Leute auf der Straße stehen blieben und vor Halifax’s Hotel, in der Great George Street, sich zahlreiche Gruppen bildeten. Zwei Herren wurden von d’Eon mit Ohrfeigen tractirt, und endlich mußte die Wache abtreten. Nachdem Ruhe geworden, zog Guerchy eine königliche Ordre aus der Tasche, welche dem Chevalier d’Eon befahl, jene Schrift zu unterschreiben. Guerchy mußte die Ordre also schon für alle Fälle sich früher verschafft haben. D’Eon unterzeichnete.

Am folgenden Tage erschien Herr von Vergy um 10 Uhr und war sehr großmäulig. Ohne Zweifel sollte er d’Eon bis zum Aeußersten reizen und ihn zum Bruche seines schriftlichen Ehrenwortes bringen. Der Chevalier war jedoch zu sehr auf seiner Hut. Er unterdrückte den Dragoner und ließ den Diplomaten erscheinen. Er führte den Herrn von Vergy in sein Cabinet, worin verschiedene Säbel und Pistolen hingen. Hier zeigte sich die Feigheit des Abenteurers. Er glaubte nichts Anderes, als d’Eon wolle ihn tödten. Diese Aengstlichkeit benutzte der Chevalier. Vergy mußte ein Billet unterschreiben, in welchem er versprach: „Sich binnen vierzehn Tagen von dem Verdachte, ein Spion oder Aventurier zu sein, zu reinigen, widrigenfalls Jedermann das Recht haben solle, ihn einen ehrlosen Menschen zu nennen.“ Er hat sich nie von diesem Verdachte gereinigt. D’Eon schickte eine Copie des Briefes an Guerchy mit folgenden Zeilen:

„Ew … sende ich die Copie des Briefes, den Herr von Vergy mir geschrieben. Er wird zu thun haben sich zu reinigen.

Mit Ihnen, Herr Graf, rechne ich später ab.  d’Eon.“

Hier endete vorläufig die eigenthümliche Geschichte, deren Gang, Zusammenhang und Fäden niemals beleuchtet oder bloßgelegt worden sind. Was aber nun erfolgte, war noch weit eigenthümlicher. Graf Guerchy berichtete sofort nach Paris und verhehlte nicht, wie sehr er von dem leidenschaftlichen Charakter d’Eon’s Alles zu fürchten habe; außerdem habe sein Sohn, der junge Graf Guerchy, geschworen, dem Chevalier, wo er ihn finde, den Degen durch den Leib zu rennen. Zur Verhütung großen Unheils werde es daher sehr gut sein, den Chevalier d’Eon aus London abzuberufen.

Hier beginnen neue und größere Mysterien ihre Schleier auszubreiten. Ludwig XV. ließ den Chevalier zurückrufen. Zugleich aber erfolgte eine Sendung von 12.000 Livres an d’Eon, „damit er anständig in London auftreten könne.“ D’Eon blieb.

Plötzlich tauchten in allen Salons, in allen Clubs, sogar in einigen Zeitungen, wie Daily Advertiser, Gerüchte auf, welche den in Scandale mit den Guerchys verwickelten Chevalier d’Eon in ein Weib verwandelten. Man erzählte sich als ausgemachte Sache: d’Eon sei eine Frau, sie habe lange Zeit alle Welt getäuscht, sei in Dragonertracht in’s Feld gezogen, bei Minden verwundet worden, wobei man ihr Geschlecht entdeckt und sie nur durch vieles Bitten und großen Einfluß wieder die Erlaubniß erhalten habe, Männerkleider zu tragen.

Man wies auf die weibischen Züge, die runden Körperformen der Amazone hin, auf den unbedeutenden Schimmer eines Bartes, und die feine, fast melodisch klingende Stimme. Letztere Behauptung war noch die schlagendste, denn der Chevalier sprach in der That sehr fein, und nur im Zorne nahm sein Ton eine etwas tiefere Klangfarbe an. Wer diese Gerüchte in Schwang gebracht, mit wessen Hülfe sie in die Massen gelangten, das ist schwer zu beweisen. Daß sie von dem Hotel der französischen Gesandtschaft ausgingen, unterliegt keinem Zweifel. Am auffälligsten mußte das hartnäckige Schweigen des Chevaliers erscheinen. Er konnte durch eine Erklärung die Gerüchte zerstreuen – er schwieg nicht nur, er ließ sogar hier und da Reden fallen, in denen er selbst sein Geschlecht zu verleugnen schien. Die sprüchwörtliche Verrücktheit der Engländer machte sich wieder bei dieser Gelegenheit bemerkbar. Man ging ungeheure Wetten bezüglich des Chevaliers ein, man suchte sich an ihn zu drängen, und bald war die Meinung feststehend, daß d’Eon ein Weib sei.

Aller Zweifel, den Einer oder der Andere hegen mochte, schwand

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 364. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_364.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)