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Seite:Die Gartenlaube (1864) 362.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Ah, sie hatten sich’s Mühe kosten lassen diese Nacht über, die anstelligen, falkenäugigen, flinkhändigen Barrikadenkünstler der alten Lutetia, der „ultima ratio regum“ die „ultima ratio populi“ entgegenzustellen: – 1512 nach allen Regeln der Kunst erbaue Barrikaden, wozu, andere Materialien ungerechnet, 4013 Baumstämme und 1.277.000 Pflastersteine verwandt worden waren. Im Besitze dieser Hunderte von improvisirten Citadellen, schickte das Volk von Paris sich an, die ihm vom Schicksal zugewiesene Rolle, den Nationen vorzuturnen auf dem Turnplatz der Weltgeschichte, wieder einmal mit Anstand, Virtuosität und Grazie durchzuführen. Die Riesenarbeit der Nacht hatte, weit entfernt, die Körper zu ermüden und die Gemüther zu beruhigen, in den Reihen der Insurgenten den Argwohn, den Zorn, die Kampflust nur gesteigert. Das Erscheinen des Moniteur am Morgen war nicht geeignet, diese Stimmung zu beschwichtigen. Das Regierungsblatt brachte nämlich in seinem nichtamtlichen Theile die vage Notiz von der bevorstehenden Einsetzung eines Ministeriums Thiers-Barrot, in seinem amtlichen dagegen die Anzeige, daß der Oberbefehl über die Linie und die Nationalgarde dem Marschall Herzog von Isly gegeben worden sei. „Was?“ schrieen die Barrikadenmänner, „Bugeaud? Der Kartätscher von der Rue Transnonain, der das Blut des Volkes wie Wasser vergossen hat, der Henkersknecht des Systems, dessen Sophist und Jesuit Guizot ist? Daran erkennen wir, was an allen den Reformverheißungen ist. Weg damit und „aux armes, citoyens!“ Noch erhob sich nirgends der Ruf: „Vive la république!“ und es unterliegt keinem Zweifel, daß noch am Morgen des 24. Februars die Massen durch etliche zeitgemäße und ehrliche Zugeständnisse im Sinne der Reform zu beschwichtigen, zu befriedigen und zu gewinnen gewesen wären. Aber mit jeder in diesem Sinne unbenützt verfließenden Stunde, Viertelstunde, Minute wurde die Haltung des Volkes eine drohendere, wurde eine zum Aeußersten entschlossene. Sehende Augen und hörende Ohren merkten das Herannahen einer gewaltigen Katastrophe. Auf den Stirnen republikanischer Führer glänzte Heiterkeit und um ihre Lippen spielte ein Hoffnungslächeln: sie spürten in allen Fibern, daß dieser Tag die Möglichkeit bringen könnte, vielleicht bringen müßte, den großen Würfelwurf zu wagen.

Derweil war Bugeaud auch nicht müßig gewesen, das Feld, auf welchem er dem Volke die voraussichtlich bevorstehende Schlacht liefern wollte, zu prüfen und die Stellungen seiner Streitkräfte darauf zu bezeichnen. Zwei große Linien markirten sein strategisches Terrain: die Boulevards und die Seinequais. Auf dem rechten Ufer des Stroms mußten als wichtige Punkte im Auge behalten werden das Schloß, das Hôtel de Ville, die Bank, die Place des Victoires und weiterhin der Concordeplatz und Bastilleplatz, in der Mitte der Boulevardsbogenlinie durch die Porte Saint-Denis mitsammen verbunden; auf dem linken Ufer ebenso der Invalidenpalast und die Militärschule, das Palais Bourbon (Sitzungslocal der Deputirtenkammer), die Polizeipräfectur und das Pantheon. Der Marschall hatte beschlossen, einen Angriff von Seiten der Insurrection nicht abzuwarten, sondern demselben durch agressives Vorgehen zuvorzukommen. Demzufolge organisirte er vier Marschcolonnen. Die erste derselben sollte, geführt vom General Sebastiani, durch die Straßen Saint-Honoré, des Prouvaires und Rambuteau zum Hôtel de Ville vordringen, wohin sie auch, um fünf Uhr vom Carrouselplatz abmarschirend, um sieben Uhr wirklich gelangte. Die zweite Colonne marschirte unter Führung des Generals Bedeau um halb sechs Uhr von den Tuilerien ab und hatte die Aufgabe, durch die Straßen Richelieu, Vivienne, Feydeau, Montmartre nach den Boulevards und diese entlang auf den Bastilleplatz zu gelangen. Die dritte Colonne setzte sich, befehligt vom Oberst Brunet, gegen sechs Uhr in Bewegung, um, durch die Straßen Saints-Pères, Jakob, de Seine, Tournon und Saint-Dominique marschirend, den beim Pantheon stehenden General Renault zu verstärken. Die Führer dieser Angriffscolonnen hatten Befehl, die Barrikaden auf ihrem Wege mit Sturm zu nehmen und jeden ihnen begegnenden Widerstand energisch niederzuschlagen. Eine vierte Colonne behielt Bugeaud unter seiner eigenen Hand. Er wollte damit im Rücken der zwei ersten operiren, um jede Wiederherstellung der genommenen und zerstörten Barrikaden zu verhindern. Ein fünftes Geschwader endlich sollte unter dem Befehl des Generals Rulhières als Reserve auf dem Carrouselplatze zurückbleiben. Von der Nationalgarde glaubte der Marschall bei seinen Anordnungen ganz absehen zu dürfen. Ein schwerer Irrthum! Denn die Reformstimmung der überwiegenden Mehrheit der Bürgerwehr machte die „Bärenmützen“ mit den „Blousen“ sympathisiren, und das Erscheinen der ersteren an der Seite der letzteren verdoppelte und verdreifachte die Unlust der Soldaten, ausdauernd und rücksichtslos für das Julikönigthum sich zu schlagen. Für dieses wurden, wie so oft für stürzende Gewalten, jetzt sogar seine guten Seiten zu Untergangsmotiven. Unter diesen guten Seiten hatte Louis Philipp’s standhafte-Friedensliebe die erste Rolle eingenommen, eine Tugend, in welcher die Gloire-, Beute- und Avancementssucht der Armee nur ein Laster sah. In ihren Reihen war der „Bürgerkönig“ längst entpopularisirt und, Alles zusammengehalten, war demnach zum energischen Schlagen für das Bestehende von der ganzen bewaffneten Macht nur die „Municipalgarde“ entschlossen, ein aus Unterofficieren gebildetes Corps, die Blüthe der straffen Militärsubordinaten.

Trotz alledem wiegte sich Bugeaud, den Grad der Entschlossenheit, Thatkraft und Rücksichtslosigkeit Anderer, namentlich des Königs, an dem seiner eigenen messend, in der trügerischen Hoffnung eines Triumphs, dessen er zum Voraus genoß. Denn nachdem er seine Angriffscolonnen in Marsch gebracht hatte, setzte er sich hin und schrieb an Herrn Thiers: „Schon lange hab’ ich vorhergesehen, mein Freund, daß wir Beide berufen werden würden, die Monarchie zu retten. Mein Entschluß ist gefaßt, ich habe meine Schiffe verbrannt. Sowie ich die Emeute besiegt haben werde – und wir werden sie besiegen, denn die Lässigkeit der Nationalgarde und der Mangel an Unterstützung von dieser Seite sollen mich nicht aufhalten – will ich gern als Kriegsminister in das von Ihnen gebildete neue Ministerium eintreten, falls meine angebliche Unpopularität kein unübersteigliches Hinderniß ausmacht….“ Eine fast in’s Komische fallende Probe menschlicher Selbsttäuschung fürwahr! Längstens zwei Stunden nach Niederschreibung dieser Zeilen war die „Emeute“ entschieden obenauf und in unwiderstehlichem Vorschritt zum Siegesziel begriffen. Zu dieser Stunde geschah auch ein Zeichen, welches in den Straßenkämpfen von Paris stets als eines der Ausschlag gebenden gegolten hat. Die Zöglinge der polytechnischen Schule erklärten dem Chef der Anstalt, daß sie sich an dem Aufstand betheiligen wollten und würden, zogen ihre Uniformen an, bewaffneten sich und eilten schaarenweise nach den verschiedenen Kampfplätzen, um sich in die Bewegung zu werfen, deren Wogen von Minute zu Minute höher und höher gingen. Schon befanden sich wichtige strategische Punkte, z. B. die Porte Saint-Denis, der Siegesplatz, fünf Kasernen und außerdem die Mehrzahl der Mairien, in den Händen des kämpfenden Volkes, andere waren dicht von demselben eingeengt. Mehr und mehr sahen sich die operirendcn Truppenkörper voneinander abgeschnitten und, ermattet, hungrig und kampfunlustig, wie sie waren, immer hülfloser in das ungeheure Straßennetz verstrickt, dessen Maschenknoten die Barrikaden bildeten.

(Fortsetzung folgt.)




Ein unenthülltes Staatsgeheimniß.
Historische Skizze von Georg Hiltl.


Die Parks und Salons des berühmten Schlosses zu Versailles hatten schon mancherlei wunderbare und eigenthümliche, merkwürdige und berüchtigte Persönlichkeiten zwischen ihren Bäumen wandeln sehen und in ihren Mauern beherbergt. Was war seit der Erbauung des mächtigen Königssitzes Alles daselbst verhandelt? Von dort aus entschied sich fast ein Jahrhundert lang das Geschick Europa’s, in jenen dunklen Laubgängen, an jenen blitzenden Cascaden und großartigen Springbrunnen entspannen sich die verwickelten, tausendfachen Fäden bedeutungsvoller Palastintriguen. Dort schürzten die schönen Hände ehrsüchtiger, genialer Frauen die Maschen zu den einen Welttheil umstrickenden Netzen. Versailles war es bekanntlich, dessen schiefangelegte Fenster in einer Schloßbeamtenwohnung den unheilvollen Krieg Frankreichs gegen die Pfalz entzündeten; um eines allzu schräg eingesetzten Fensters willen ward das herrliche Schloß zu Heidelberg eine Ruine.

Und noch gar manche ähnliche Dinge lassen sich aus Versailles

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 362. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_362.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)