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Seite:Die Gartenlaube (1864) 311.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Rührigkeit. Als Redacteur der „Ulmer Schnellpost“ wurde er bald eine im ganzen Lande bekannte Persönlichkeit, und seine geschriebenen Reden für Freiheit und Einheit Deutschlands wußte bald jedes Kind an der ihnen eigenen Kraft, Kernhaftigkeit, Schärfe und Ueberzeugungswärme herauszufinden, auch wenn sie nicht gezeichnet waren. Es gereicht Ludwig Seeger zur besonderen Ehre, daß sich die Reaction vermittelst ihres Helfershelfers Römer zuerst an ihm vergriff und daß er zwei Mal auf den Asperg wandern mußte in das Gefängniß Schubart’s, das auch Schiller bestimmt war. Dafür wurde er vom Volke im Jahre 1849 in die Landesversammlung geschickt und seitdem zu wiederholten Malen zum Abgeordneten gewählt. Auch in diesem neuen Berufe wankte und wich er bis zu seinem Tode nicht einen Finger breit von dem Wege ab, den ihm seine demokratische Ueberzeugung, oder vielleicht besser seine demokratische Natur vorzeichnete. In der Kammer war er von unschätzbarem Werthe. Aus einem octroyirten Wahlgesetze hervorgegangen, unter der schweren Atmosphäre der allgemeinen Reaction, war sie nur zu sehr geneigt, einzuschlafen und die Dinge gehen zu lassen, wie sie gingen. Da fuhr Ludwig Seeger wie ein Gewitter darein, reinigte die schwüle Luft und weckte die Betäubten. Hatte er als Mitglied einer schwach vertretenen Partei auch nicht die Macht, von Ministern, Prälaten und Standesherren protegirte Gesetze abzuschaffen, so ließ er sich doch nicht einschüchtern, sagte wenigstens im Angesichte des Landes die Wahrheit und that das Seinige, daß die Principien der Freiheit nicht vergessen wurden. Und zur Erfüllung dieser Pflicht hatte er immer das rechte Wort bereit und den rechten Muth. Es war natürlich, daß ein solcher Mann sofort auf dem Kampfplatze erschien, als es sich um die vaterländische Sache von Schleswig-Holstein handelte. Er wurde sogleich in das Stuttgarter Comité gewählt und nach seinem Auftreten im Frankfurter Saalbau, das die Gartenlaube geschildert hat, auch in den Sechsunddreißiger-Ausschuß des Abgeordnetentages. Und so kann man sagen, daß er überhäuft mit jenen Ehren starb, die er allein erstrebt, und die er, als vom Vaterlande und nicht von Fürsten kommend, allein als Ehren betrachtete.

Dies in kurzen Umrissen das Leben Ludwig Seeger’s, ein Leben voll Kampf und Arbeit und Entsagung – und doch fleckenlos; ein durch und durch ehrenhaftes Leben, das nicht nur keiner Versuchung erlag, an das sich nie eine Versuchung heranwagte. Daher kam wohl auch, bei allem Ernst, mit dem er jedes Ding ergriff, bei allen Lasten, die er auf seine Schultern nahm, jene Heiterkeit, die, wenn auch einen derben, doch einen wahrhaft Rabelais’schen Witz hervorsprudeln ließ, der ihm eben so viele Feinde wie Freunde machte. Im Kreise seiner Freunde werden sich noch lange Segeriana und Anekdoten erhalten, die gesammelt beweisen würden, daß er von Natur zum Uebersetzer des Aristophanes und der Falstaffiaden bestimmt war. Dies mahnt uns an seine letzte große Unternehmung, welche das Shakespeare-Jubiläum auf das Würdigste feiern sollte, an seine neue Uebersetzung. Leider sind nur drei Tragödien vollendet: Hamlet, König Johann und Timon von Athen. Othello ist mitten im 5. Acte abgebrochen. Schon krank arbeitete er noch mit Eifer an dieser Tragödie, und unfähig mehr die Feder zu halten, dictirte er noch eine Scene seiner treuen Lebensgefährtin. Das mag ihm ein großer Schmerz gewesen sein, dieses Monument, das er sich selber baute, eine neue Shakespeare-Uebersetzung, welche die Schlegel’sche übertreffen sollte, unvollendet zurückzulassen. Dafür wurde ihm in den letzten Monaten seines Lebens die Genugthuung, daß seine Gedichte „der Sohn der Zeit“ in neuer Auflage erschienen und, obwohl zu einem großen Theile politische Gedichte der vormärzlichen Zeit, sich als so frisch und jung erwiesen, daß sie mit noch größerem Beifall als bei ihrem ersten Erscheinen aufgenommen wurden. Für diese Gedichte wollen wir Seeger selber sprechen lassen, indem wir zum Schlusse eines derselben hierhersetzen, das zugleich ahnen läßt, wie er seinen Beranger übersetzt hat. Es heißt:

 Elternfreuden.
So ist es wahr, was nur bescheiden
Dein Lächeln, Dein Erröthen sagt,
Was heimlich schlief als Wunsch in Beiden,
Was kaum der Mund zu nennen wagt?

5
O laß mein Herz an Deinem schlagen:

Wir sind nicht länger mehr zu Zwei’n!
Der Nacht in’s Ohr will ich es sagen:
Geliebte, Du wirst Mutter sein!

Im Kranz der gottdurchströmten Wesen

10
Nicht taube Blüthen sind wir nur:

Zum Schaffen sind auch wir erlesen,
Auch wir sind göttlicher Natur.
Im Wechsel blühender Gestalten
Erneut sich stets der ew’ge Reihn;

15
Fühlst Du in Dir der Gottheit Walten?

Geliebte, Du wirst Mutter sein!

Geheimnißvolle Lebensfunken
Sind Deinem süßen Leib vertraut.
Ahnst Du, in Demuth hingesunken,

20
Die hohe Würde – Gottesbraut?

Und ich – o laß in Ehrfurcht küssen
Die Brust, den heil’gen Wunderschrein,
Erfüllt von Gottes Strahlengüssen,
Geliebte, Du wirst Mutter sein!

25
Ein Pfand der Liebe, unsrer Liebe,

Der Gottesliebe, wächst es still.
Wir blicken frei in’s Weltgetriebe,
Wir wissen, Jedes, was es will:
Wir wollen unser Glück verdienen,

30
Und Lieb und Kraft den Menschen weihn,

Ein Mann der Freiheit dien’ ich ihnen,
Geliebte, Du wirst Mutter sein!

Ein Mann der Freiheit? – ach, wir streiten
Nur für das kommende Geschlecht.

35
Dein Wunsch und Dein Gebet begleiten

Mich, holde Mutter, in’s Gefecht.
Selbst Vaterfreuden kosten Zähren,
So lang wir noch nach Freiheit schrein;
Die Zahl der Sclaven zu vermehren,

40
Bei Gott, wer möchte Mutter sein?


Und kehr’ ich heim mit rothen Wangen,
Vom Kampf des schwülen Tages warm,
Kommst Du entgegen mir gegangen,
Das süße Kleinod auf dem Arm;

45
Ich les’ im Kindesaug, dem blauen,

Die Siegesbotschaft. – Sieh’ darein,
Gerechter Gott, laß unsre Frauen
Nur freier Kinder Mütter sein!




Alpenglühen und Meeresleuchten.
Erinnerungen von Ferdinand Stolle.
1.

Das Gewitter war verrollt in den Bergen. Nur aus der Ferne grollte in immer längern Pausen der Zorn des Himmels, Das Thal ruhte in klarer Nachmittagsonne, frisch und farbenduftig, und gegen Morgen über grünem Tannenwalde stand holderquickend ein Regenbogen,

Wir saßen, im östlichen Winkel Oberbaierns, im umgrünten Gärtchen am Ufer der Saalach, jenes kecken Gebirgskindes, das, jugendlich frisch aus Tyrol kommend, es kaum scheint erwarten zu können, sich mit Schwester Salza zu vereinigen, und ihre weißgelben Wellen rasch dahin rollt. Freund Leonhard, der Maler, hatte an einem Tische vor der Jelängerjelieberlaube Platz genommen und zeichnete den Hochstauffen, dessen Riesenpyramide im reinsten Blau ruhte, so daß das gußeiserne Kreuz auf seiner Spitze vermittelst des Opernglases deutlich zu erkennen war. Nur von Zeit zu Zeit zog leichtes Gewölk an dem erhabenen Haupte weißflockig vorüber. Albertine und Sophie, zwei anmuthige Blumen aus dem Norden des deutschen Vaterlandes, waren über die Saalachbrücke nach dem unfern gelegnen Kirchlein Nonn geeilt, um Alpenveilchen und blaue Genzianen zu pflücken. Aus den offnen epheuumzognen Parterrefenstern des mit reichem Holzschnitzwerk versehenen Schweizerhauses tönten die Klänge eines Pianos. Es war der junge Docent aus Göttingen, der Bruder des schönen Schwesterpaares. Mit vieler Fertigkeit und Präcision trug er das erste Finale aus Don Juan vor und war so eben zu der unsterblichen Menuett und dem Hülferuf Zerlinens gelangt, als Albertine und Sophie ganz glücklich von ihrem Ausfluge heimkehrten. Sie brachten reiche Ausbeute an violetten Hasenöhrl’n[1]


  1. So heißen im oberbairischen Volksmunde, nach ihrer Gestalt, die Alpenveilchen (cyclamen europaeum).
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 311. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_311.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)