Seite:Die Gartenlaube (1864) 273.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

No. 18.   1864.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. 0Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.





Der Schatten.
Erzählung von Carl August Heigel.
(Schluß.)


4.

Bleifarbige, schwere Wolken zogen am andern Tag über den Bergen auf. Ein scharfer Wind jagte sie ruhelos von Gipfel zu Gipfel, wühlte den Fluß auf, packte und bog die Bäume im Park, stürzte sich heulend durch die Kamine im Schloß. Die Diener saßen müßig und mit geheimnißvollen Gesichtern im Vorzimmer. Der räthselhafte Schatten war gigantisch angewachsen und lagerte über dem ganzen Haus, über allen seinen Bewohnern.

„Merkwürdig,“ sagte Titus, „daß das Gespenst just bei der Verlobung sich zeigt. Das bedeutet nichts Gutes.“

„Ist’s denn mit der Verlobung richtig?“ fragte der schüchterne Schramm. „Ich hab’s der schwarzen Mariandel nicht glauben wollen, als sie mir’s beim Stiefelputzen erzählte. Mir ist’s, als wäre der Herr Graf erst gestern gestorben. Sein Begräbniß war schauerlich. Und jetzt ist die Gräfin schon wieder verlobt!“

„Schramm, Sie sind ein Esel,“ bemerkte Lafleur vornehm, der auf dem Ledersopha lag und sich die Zähne stocherte. „Sie hören und sehen nichts. Wen von den Herren, außer Ihnen, nimmt das Ereigniß Wunder; ich frage, wen? Niemanden von uns. Ich war in beständiger Attention. Ich hätte mit Jedem zwei Flaschen Rothspon darauf gewettet. Es ist so zu sagen eine alte Neuigkeit, nicht werth, daß man noch ein Wort darüber spricht. Bah!“

„Sehr richtig, mon cher,“ schnarrte Titus der Kleine. „Für mich ist der Schatten viel interessanter, als die Verlobung. He, Herr Banks, wie denken Sie heute darüber?“

Der Schwarze zeigte grinsend seine glänzenden Zähne, „Oh, yes!“ sagte er, „I think –“

„Deutsch, wenn ich bitten darf, Mr. Banks,“ unterbrach ihn Lafleur kalt. „Wir sprechen nur in England englisch. Apropos, gestern Abend war ich wieder ’mal bei der verrückten Kreislerin.“

Die Aufmerksamkeit Aller richtete sich auf Lafleur.

„Was meint denn die von dem Schatten?“ fragte einer der Jäger.

„I, das ist merkwürdig. Sie sagt –“ Eine der Klingeln im Zimmer begann heftig zu läuten.

„Lafleur, das gilt Ihnen,“ sprach Titi.

„Ja,“ antwortete Jener nach einem Blick auf die vibrirende Glocke. „Dann muß ich hinauf; solange Herr von Montigny Bräutigam ist, darf man ihn nicht warten lassen.“

Montigny hatte seinen Lehnstuhl an’s Fenster gerückt und sah, mit aufgestütztem Haupt und finsterem Gesicht, dem Aufruhr am Himmel zu.

„Ist die Gräfin zu sprechen?“ fragte er den eintretenden Lafleur, ohne den Kopf zu wenden.

„Bedaure, Euer Gnaden,“ antwortete der Diener. „Die Frau Gräfin haben den Auftrag gegeben, sie zu entschuldigen, Sie fühlen sich sehr krank; der Schatten –“

„Zum Teufel mit Eurem Schatten!“ zürnte Montigny. „Wer noch einmal mir von diesem Unsinn spricht, ist entlassen!“

„Ganz nach Euer Gnaden Befehl,“ versetzte Lafleur.

Ruhigeren Tones dann gab Edgar dem Bedienten den Auftrag, sich zu erkundigen, ob die Gräfin auch für ihn nicht zu sprechen sei.

Nach einer kurzen Weile kam Lafleur mit einem Briefchen von der Gräfin Hand zurück. Montigny überflog die Zeilen. Sie waren mit der Bleifeder flüchtig hingekritzelt. Ihr Inhalt lautete:

My dear! Tausend Küsse vorher! Ich bin sterbenskrank. Der Schatten – ce maudit spectre – war im gelben Zimmer, als ich aus einem Traum – Du erräthst doch, von wem ich träumte? – erwachte. Ist das nicht schrecklich? Jetzt kann ich Dich nicht sprechen, ich sehe gräulich aus. Aber Abends wollen wir unsere Verlobung feiern und mit Aßpergs die ganze Nacht durchschwärmen. Hörst Du, die ganze Nacht! Den Schlaf holen wir morgen im Wagen nach, denn wenn Dir mein Leben lieb ist, so verlassen wir morgen schon dies entsetzliche Schloß und reisen mit Aßpergs nach Baden-Baden. Es küßt und umarmt Dich

Deine Stephanie.“ 

„Sie können gehen,“ sagte Montigny zum Bedienten. Allein, warf er das Papier auf den Tisch und starrte wieder in die gährenden Wolken. Manchmal senkten sie sich tief an den grauen Felswänden nieder, als wollten sie das Thal erdrücken, dann riß sie der Wind wieder wie einen Vorhang empor.

Die Gedanken Edgar’s wogten wie das Gewölk. Dunkel, gewitterschwer stiegen sie in ihm auf, und zogen sie vorüber, so standen dunklere dahinter. Einmal trat er an den Tisch, um eine Cigarre anzuzünden. Eine Wachskerze brannte dort. Edgar benutzte Stephaniens Brief als Fidibus und warf das flackernde Papier auf den kostbaren Fußteppich. Einige Secunden lang betrachtete er die kleine Flamme am Boden und trat dann heftig mit dem Fuß darauf. „Aus!“ sagte er mit einem sonderbaren Aufleuchten seiner Augen.

Er schritt im Zimmer auf und nieder und versuchte zu singen, aber die Stimme versagte ihm; auch am Rauchen fand er

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 273. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_273.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)