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Seite:Die Gartenlaube (1864) 215.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

als für Marggraff ganz besonders charakteristisch – eine herzgewinnende Milde und Toleranz“, – so ist nur zu beklagen, daß letztere schöne Tugenden im Leben gegen ihn selbst so wenig geübt worden sind – namentlich in der Beurtheilung und Behandlung seiner eigenen selbstständigen Schöpfungen.

Marggraffs erste Werke „Bücher und Menschen“ (1837) und „Deutschlands jüngste Cultur- und Literaturepoche“ (1839) sind zwar aus einer Sammlung früher veröffentlichter Journalartikel entstanden, haben aber bleibenden Werth als treffende Charakteristiken der damaligen literarischen Zustände in Deutschland und sind anerkannte und oft ausgebeutete Quellen für die Literaturgeschichte jener Zeit. Von gleichem Werthe ist seine kritische und literarhistorische Einleitung zu seinen „Politischen Gedichten aus Deutschlands Neuzeit von Klopstock bis auf die Gegenwart“ (1843) und seine Einleitung zu dem „Hausschatz deutscher Humoristik“; seine Biographie von Ernst Schulze und die von Goethe. In Gemeinschaft mit Robert Blum und Carl Herloßsohn gab er ein „Allgemeines Theaterlexikon“ heraus. Zu seinen gediegensten Schriften gehört ferner „Schiller’s und Körner’s Freundschaftsbund“ (1859). Ueber seinem jüngsten Werke, der Einleitung zu einer Anthologie aus Shakespeares Werken, überraschte ihn der Tod.

Wer sich, nach dem Schicksalsdruck, von dem Marggraff sich leider nicht befreien konnte, ein Bild von einem ewig trüben und zerrissenen Innern desselben macht, ist in Irrthum. Ihm hatte die Natur ein starkes Gegengift gegen die Bitterkeiten des Daseins in einem trefflichen Humor mitgegeben, einem so lebenstüchtigen Humor, daß er bis an das Ende seiner Tage den Mann aufrecht erhielt. Zeugnisse desselben sind, außer vielen lyrischen Ergüssen, besonders seine komischen Romane „Justus und Chrysostomus Pech, Zeit- und Lebensbilder“ (2 Bände 1840), „Johannes Mackel. Bunte Schicksale einer häßlichen, aber doch ehrlichen deutschen Haut“ (2 Bände, 1841) und „Fritz Beutel. Eine Münchhauseniade“ (1856).

Mit unzweifelhaftem Beruf, aber mit viel zu viel Bescheidenheit, um durch Vordrängen in die Nähe des Glücks zu kommen, betrat er das dramatische Feld. Sein Erstlingswerk, „Die Maler von Florenz“, ein Trauerspiel, ist wohl ungedruckt geblieben; erschienen sind: „Kaiser Heinrich IV. Historisches Trauerspiel“ (in Willkomm’s Dramaturgischen Jahrbüchern, 1837), „Elfride, Trauerspiel“ (in Gubitz’ Jahrbuch deutscher Bühnenspiele für 1841) und „Das Täubchen von Amsterdam. Trauerspiel“ (1839). Der rauschende Beifall, mit dem letzteres in Leipzig, wo die blühende Dessoir in der Rolle der „Düveke“ (Täubchen) entzückte, über die Bühne ging, versprach dem Dichter eine glänzende dramatische Laufbahn, aber auch diese Hoffnung hat ihm nicht Wort gehalten.

Die wärmste Anerkennung hätte Hermann Marggraff für die lyrischen Gaben verdient, die er dem deutschen Volke bot, und wenn unsere „gebildeten Stände“ schon so gebildet wären, bei dem Genuß, den ihnen schöne Dichtungen bringen, auch an die Dichter zu denken, ein wenig Dankgefühl zu empfinden und bis zu der Idee emporzusteigen, wie edel es sei, für Freuden wieder mit Freuden zu lohnen, so hätte in Hermann Marggraff’s Haus für die vielen gehobenen und heiteren Stunden, die er Anderen bereitete, wiederum, und war’s nur durch ein freundliches Wort, einen herzlichen Gruß, gar manche erquickende Stunde einkehren müssen. Aber wer kann an so etwas denken? Man hat ja das Buch oder das Entrée bezahlt, was geht Einen da noch der Dichter an? – Von Marggraff’s ersten Gedichten, die er 1830 zusammen mit denen seines Bruders Rudolph herausgegeben, hat er nur wenige in die Sammlung aufgenommen, welche 1857 erschienen ist. Im Jahre 1862 erschien seine „Balladenchronik“; eine besondere Ausgabe seiner sämmtlichen „Lieder für das Haus und die Familie“, die er im Plane hatte, sollte nicht unterbleiben. Die Ballade, das Familienlied und die humoristische Lyrik hat er am glücklichsten gepflegt und unsern poetischen Nationalschatz in allen drei Arten um wahre Meisterstücke bereichert. Die humoristischen Gedichte Marggraff’s gehören zu den besten Ergüssen unserer modernen Dichtung; „es liegt,“ sagt R. Gottschall, „oft eine reizende Schalkheit und eine Laune von glücklichster Wirkung in ihnen“, wie in „Der Deutsche an der Himmelsthür“, in „Was thut man nicht aus Liebe“ und noch in seinem letzten komischen Bildchen, mit dem er mich für meinen „Weihnachtsbaum für arme Kinder“ erfreute, in der köstlichen Philisterschilderung: „Wir bleiben bei unserem Oele.“

Als eine theure Reliquie werden wir Hermann Marggraff’s letztes Lied in der nächsten Nummer folgen lassen.

Wir stehen am Ende und blicken zurück auf Das, was der Mann geleistet, und das Auge wird uns trübe vor dem, was er errungen hat. Erfüllt von der Würde des Schriftstellerstandes, fühlte er um so schmerzlicher den Abstand zwischen der geistigen Höhe, auf der er stehen, auf der er sich erhalten muß, um seinen hohen Beruf zu erfüllen, und der bürgerlichen Bedrängniß, die ihn rief unter jeden andern, jeden materiellen Erwerbszweig niederdrückt. Darum war es ihm eine Herzensangelegenheit, die Schriftsteller in ihrem eigenen Interesse näher zusammenzubringen, daher seine Bemühung für die Gründung eines Schriftstellervereins und ebenso sein Eifer für die Förderung der Schillerstiftung, die wenigstens verhüten sollte, daß nicht, zur Schande für Deutschland, für die Hinterbliebenen jedes in Dürftigkeit gestorbenen Schriftstellers öffentlich gebettelt werden müsse. Er hat redlich für diese letzte Ehre des Schriftstellers gerungen, und nun? – Indeß darf nicht verschwiegen werden, daß die Schillerstiftung sich ihm dankbar erwies; sie sicherte ihm einen Ehrensold von je 300 Thaler auf drei Jahre zu, und die erste Auszahlung der ersten Jahreshälfte von 150 Thalern war Marggraff’s letzte Lebensfreude. Als diese langersehnte Schillerhülfe endlich kam, da war es des strengrechtlichen Hausvaters erste Sorge, sich von den nach und nach angehäuften Schuldpöstchen zu befreien, deren Druck ihm von je der schmerzlichste war. Mit inniger Freude siegelte er Paketchen um Paketchen, bis endlich von der ganzen „Schillerhülfe“ noch – 171/2 Ngr. übrig blieben. Für diese kaufte er eine Flasche Rothwein, die erste, die seit langer, langer Zeit den Tisch des Dichters schmückte, und auch die letzte!

Hermann Marggraff starb am 11. Februar dieses Jahres. Sein Tod war der bitterste, – drei Tage lang, im Bewußtsein des nahen Endes und mit dem Gefühl im Herzen, alle seine Lieben hülflos der Barmherzigkeit der Welt überlassen zu müssen – war ihm das letzte Glück des Menschen, die Seele durch die Rede zu erleichtern, versagt, er konnte nicht mehr sprechen, rang vergeblich darnach, sich verständlich zu machen, nur die unaufhörlich rinnenden Thränen zeugten von seinem brennenden Schmerz und die Inbrunst, mit welcher er alle seine Lieben an sich drückte und küßte, bis ihm der letzte Hauch entfloh.

Am kalten trüben Nachmittag des 13. Februar geleiteten ihn etwa fünfzig Männer, die Mehrzahl Schriftsteller Leipzigs, zu Grabe, still und prunklos, wie er gelebt hatte.

Wir können jedoch unmöglich so schließen. Die Kinder haben uns in ihres Vaters Wohnung geführt; dort wollen wir auch von ihnen scheiden. Wir wollen die letzte Weihnacht mit ihnen verleben, wir wollen Hermann Marggraff’s letztes Weihnachtsfest in seiner Familie mit feiern. Betreten wir noch einmal das liebe Haus.

„Guten Abend, Kinder! Es sieht ja noch recht dunkel bei Euch aus! Wo ist denn Papa?“ – „In seiner Arbeitsstube,“ antworten sie ziemlich kleinlaut. – Da saß er, bei ihm seine Gattin, Beide Thränen in den Augen. „Liebe Frau, es geht nicht, es geht nicht! Der Vorschuß aus der Buchhandlung muß herunter und wir müssen mit den Paar Thalern bis zu Ende des Monats ausreichen, ich kann den Kindern kein Christfest bereiten; es thut mir weh, sehr weh, aber es geht nicht! Vertröste sie auf die bessere Zeit, wenn die ersten 150 Thaler von der Schillerstiftung angekommen sind, da sollen sie sich recht freuen, da will ich Alles wieder gut machen. Nur jetzt keine Ausgabe, die uns in Verlegenheit bringen könnte! O, es ist traurig, es ist sehr traurig! Meine armen, armen Lieblinge!“ – „Lieber Mann, Du weißt ja, wie bescheiden die Kinder sind, gieb nur zu einer kleinen Stolle und zu einem Bäumchen, das sie sich selbst anputzen. Den drei Kleinsten habe ich ihre alten Püppchen ein wenig hergestellt, das ist Alles. Nur damit sie nicht weinen, wenn sie nicht einmal ein Christbäumchen sehen!“ – „Nun ja, jawohl, das geht, wir müssen uns eben dann darnach einrichten.“ – – Und da kam die eine kleine Christstolle für die 10 Kinder und ein kleines ärmliches Bäumchen, und daran hingen die größeren Mädchen fünf Pfennig-Zuckerstückchen und steckten drei Lichtchen darauf. Sie hatten nicht mehr. Und als die drei Lichtlein brannten, wurden die Kleinen gerufen, und da stürmen die blonden Lockenköpfchen herein, und wie strahlen die Augen und wie groß ist die Freude, wie klatschen sie in die Händchen und tanzen um den Tisch und sind so glücklich! – Aber der Vater schleicht sich hinaus, hinüber in seine Arbeitsstube, um sich auszuweinen.

Das war Hermann Marggraff’s letztes Weihnachtsfest.



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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 215. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_215.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)