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Seite:Die Gartenlaube (1864) 120.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Dorfe auf einem Strohlager, in gewohnter Seelenruhe sein Pfeifchen schmauchend. Er war ungebrochenen Muthes. Und ebenso war, trotz der verlorenen Schlacht, trotz des im starken Regen und mit lerem Magen ausgeführten Nachtmarsches, die ganze preußische Armee am folgenden Tage wieder von dem besten kriegerischen Geiste beseelt, bereit von neuem zu kämpfen. Gegen Abend am 17. Juni standen die Corps von Zieten, Pirch und Thielmann, der selbstständig seinen Marsch ungehindert ausgeführt, bei Wawre vereinigt, und Bülow nicht weit mehr entfernt. Nur den großen Anstrengungen der Befehlshaber ist die so bald wieder hergestellte Schlagfertigkeit der geschlagenen Armee zu danken.

Anders verhielt sich Napoleon, der nicht mehr der Mann jener energischen Thatkraft früherer Jahre zu sein schien.

Der Kaiser ging von der Voraussetzung aus, die ganze feindliche Armee sei flüchtig gegen Deutschland zu auf Namur zurückgeeilt. Daher sandte er nach dieser Seite hin in der kommenden Morgenstunde 6000 Mann unter dem Befehl des General Pajol, und als dieser hier bald eine preußische Batterie antraf und ohne Widerstand nahm, bestärkte das den Kaiser in seiner Täuschung. Allerdings wurde später gemeldet, ein Theil der Preußen habe sich auf Gemblonx zurückgezogen. Aber Napoleon war so sicher in seiner Voraussetzung, das preußische Heer habe sich aufgelöst und sei vernichtet nach Namur geflüchtet, daß er nun sogar jene 6000 Mann noch theilte und den General Berton mit sehr geringer Mannschaft der neuangegebenen Richtung folgen ließ. Dem Marschall Ney aber wurden Befehle gegeben, aus denen ebenfalls ersichtlich ist, daß Napoleon die Wichtigkeit des 17. Juni nicht erkannte. Er blieb unthätig.

Gegen Mittag ließ der Kaiser einige Truppen nach Quatrebras abmarschiren. Zu seinem Erstaunen mußte er bald hören, daß dort Wellington noch immer halte, denn er glaubte, nach der vorausgesetzten Flucht der Preußen gegen Namur würden sich die Engländer auch zurückziehen. Jetzt wandte er sich mit einem Theil seines Heeres ganz gegen Wellington, den andern, etwa 33,000 Mann, stellte er unter die Befehle des Marschalls Grouchy, dem er auftrug, die Preußen hart zu verfolgen, sie nicht aus den Augen zu verlieren. Und doch hatte Blücher schon zehn Stunden Vorsprung! Bald nachher meldete dann Berton, er habe bei Gembloux ein vollständig schlagfertiges Armeecorps – Thielmann – gefunden. Jetzt erst, Nachmittags, erwachte bei Napoleon der Gedanke, daß die Preußen vielleicht noch weitere Pläne verfolgen könnten. Er wies nun Grouchy an, seine sämmtlichen Truppen bei Gembloux zu vereinen und die Pläne des Feindes zu erkunden. Erst Abends, nachdem die Preußen längst verschwunden, traf der Marschall in Gembloux ein. Pajol aber irrte natürlich den ganzen Tag umher, ohne Feinde zu sehen.

(Schluß folgt.

Garnison- und Parade-Bilder.[1]
Nr. 5. Die Besichtigung auf der Landstraße.

In der Morgenkühle eines frischen, aber nicht kalten Octobertages des Jahres 1832 stand eine zu Köln am Rhein garnisonirende Batterie der siebenten Artillerie-Brigade marschfertig vor ihrer Caserne. Dieselbe war auf dem Kriegsfuß und sollte Cantonnirungsquartiere an der Grenze Belgiens beziehen, in welchem Lande Ludwig Philipp, den die Juli-Revolution auf den französischen Thron gehoben hatte, seine Friedenspolitik durch die Belagerung der Citadelle von Antwerpen zu illustriren versuchte. Die Zeiten schienen wieder zurückgekehrt zu sein, da Frankreich stolz und hoch das Haupt nach vorwärts wandte und die Sonne des Ruhms nur im Aufgehen sah. Auf den Rumpf der leichten und frischgemutheten Nation paßte der bedenkliche, sinnende Januskopf des Bürgerkönigs zwar sehr schlecht, aber damals muthete man demselben noch Thatkraft und Entschlossenheit zu und glaubte, daß er sich berufen fühlen könnte, der neue Messias der Zukunft werden zu wollen. Schien es doch bei dem Einmarsch nach Belgien, als sei der Schatten Napoleon’s wieder zu Pferde gestiegen und hätte den Franzosen zugerufen: allons, bouleversons le monde. Da taumelte Deutschland aus seinem Schlafe auf, und Preußen errichtete ein starkes Observationscorps, um seine bedrohte Grenze zu schützen.

Unter der Bedienungsmannschaft der bezeichneten Batterie, die zu jenem Observationscorps gehörte, herrschte ein frisches, fröhliches Treiben. Man merkte es an der Lebendigkeit und Regsamkeit der Leute, daß sie gern hinauszogen aus der finstern Festung, wo ein strenger Dienst jeden ihrer Schritte regelte und sie zu Automaten machte, deren Bewegungen das Befehlbuch vorschrieb. Es lachten ihnen ja gute Quartiere, galante Abenteuer und jene Ungebundenheit entgegen, die das Leben in der Cantonnirung so vortheilhaft vor dem in der Garnison hervorhebt. Auch die bestimmte Aussicht auf einen kecken Feldzug gegen den alten Feind, der widerrechtlich in das Nachbarland eingebrochen war, um die etwas erblindete Glorie seiner Fahne neu zu vergolden, hob die Stimmung der Artilleristen und ließ sie leicht die zarten Beziehungen vergessen, welche bisher einige Blumen auf den öden Pfad ihres Casernenlebens gestreut hatten.

Es war kurz vor 6 Uhr, als der Capitain vor der Front seiner Batterie erschien. Die Zugführer traten ihm meldend entgegen, und der Befehlshaber schickte sich an, den ihm untergebenen Truppentheil vor dem Ausrücken noch einer letzten Revision zu unterwerfen.

Der Batteriechef war ein guter Officier und humaner Charakter. Hochgebildet und noblen Geistes, besaß er dazu noch eine Aeußerlichkeit, die für ihn einnahm. Er war ein braver Camerad und gegen seine Untergebenen gütig und nachsichtig, weshalb er auch allgemein geliebt wurde und bei seinen Befehlen jenen freudigen Gehorsam fand, der die sicherste Bürgschaft für deren exacte Ausführung ist. Der Hauptmann liebte, spielte und trank gern, und war stets geistig und körperlich zu Pferde, wo es galt, das Leben zu attakiren. Den eigentlichen Dienst handhabte er mit unnachsichtlicher Strenge, den Gamaschendienst und die unvernünftige Drillerei, die zu jener Zeit in der Armee en vogue war, und den armen Soldaten zu dem geplagtesten Geschöpf unter Gottes Sonne machte, haßte er gründlich. Vergehungen, die dem jugendlichen Uebermuth oder einer zufälligen Situation entsprangen, verzieh er leicht, Gemeinheiten und brutale Ueberhebungen bestrafte er dagegen mit der vollen Strenge des Gesetzes.

Als er an diesem Tage vor der imponirenden Front der unter seinem Befehle stehenden Batterie erschien, leuchteten seine Augen in sichtbarem Stolze auf. Er mochte wohl schon im Geiste die Triumphe durchleben, welche er mit einer so gut ausgerüsteten Batterie in dem Kriege, der nach seinem Dafürhalten unvermeidlich war, zu erringen gedachte. Daß die mobilisirte Armee unthätig an der Grenze stehen bleiben würde und den gichtischen Kriegsfuß im deutschen Pactolus, im Rhein, baden sollte, daran dachte damals wohl Niemand, am allerwenigsten die Officiere des sogenannten Observationscorps, welche ohne Ausnahme dem Kriege mit Sehnsucht entgegen sahen. Der Ausmarsch aus den Garnisonen war deshalb auch durch eine besondere Freudigkeit gekennzeichnet, die sich in der Haltung und dem ganzen Aeußern der Leute kundgab.

Die Revision der Batterie war bald beendet. Lag auch hier eine Schnalle einen halben Zoll zu weit rechts oder links, mußte auch ein oder der andere Mantelsack fester angezogen werden, so war dies doch dem Hauptmann nicht Veranlassung, darüber ein Geschrei zu erheben, als sei das Vaterland in Gefahr. Die gerügten Ungehörigkeiten wurden rasch abgestellt, und man hörte dabei nichts von jenem rohen Gepolter, wodurch geistesarme Officiere ihre Autorität zu stützen meinen.

„Aufgesessen!“

„Marsch!“


  1. Der obenstehende Artikel rührt von dem nämlichen Verfasser her, welcher der Gartenlaube schon im Jahrgange 1859 eine Reihe von frisch und keck gezeichneten Garnison- und Paradebildern geliefert und dieselben mit Hinzufügung einiger neuen Skizzen kürzlich unter dem Titel: „Militärische Zeit und Charakterbilder. Von G. Ladendorff“ im Verlage des Magazins für Literatur in Leipzig veröffentlicht hat. Auch in unserm beutigen Bilde giebt die originelle Figur des Oberstlieutenants von Tuchsen, die schon von Hackländer’s gewandter Feder, wenngleich mit einiger poetischer Licenz, so lebendig gezeichnet worden ist, den Mittelpunkt ab, um welchen sich die Darstellung gruppirt.
    D. Red. 
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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_120.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)