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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

In die 90 Nummern theilen sich nun auch unsere 300 Träumer; und da die allerverschiedensten Naturen und Charaktere, Gerechte und Ungerechte, Sanfte und Hitzige sich darunter befinden, so sind die Träume und Vorahnungen sehr verschieden von einander, und alle 90 Nummern werden sich durchschnittlich gleicher Einsätze erfreuen. Und das ist gut. Denn damit ist die Gewißheit gegeben, daß ungefähr 15 von den 300 Träumen in Erfüllung gehen. Fünf Nummern werden gezogen, 15 Spieler haben dieselben besetzt. Diese sind die Glücklichen. Gewiß kann man, da von 300 Träumen 15 – also 5 Procent – in Erfüllung gehen, nicht mehr davon reden, daß Träume nie einträfen. Ein solches Quantum ist aber nicht nur alles Mögliche, sondern vielmehr das Gewisse; und es würde noch größer ausfallen, wenn die Spieler, statt die Auswahl unter 90 Nummern zu haben, nur von 20 oder gar nur von 10 Nummern träumen dürften.

Daß nun bei jeder Lotterie der Fall eben so steht wie bei dem einfachen Lotto, liegt klar am Tage. Nur müssen, weil die Anzahl der Loose eine viel größere ist, als die Zahl der Nummern im Lotto, sich auch nothwendiger Weise mehr Menschen mit dieser geistigen Speculation befassen. Indessen hat dies keine Schwierigkeit; jeder Spielende träumt auch hier früher oder später einmal von seiner Nummer oder wenigstens vom Spiel und legt dies natürlich allemal so aus, daß ihm der „große Gewinn“ bevorsteht; oder wenn er nicht selbst träumt, so besorgt dies seine Frau oder eins seiner Kinder oder ein Bekannter; und man kann sicher rechnen, daß bei Weitem mehr Menschen das große Loos im Kopfe spukt, als sich wirklich am Spiel betheiligen. Etwas geschieht immer, was ein eifriger Spieler in Beziehung zu seinem Glücke setzen kann, und Alle diejenigen, die etwas von Bedeutung gewinnen, – wenn es auch nicht das erwartete große Loos ist, sondern vielleicht nur der hundertste Theil davon – haben also rechtschaffene Symptome gehabt und werden als „lebende Beispiele“ bewundert. Dazu kommt, daß diejenigen, welche auf ihre schönen Träume nichts gewonnen haben, still sind und sich damit trösten, daß sie wahrscheinlich nicht richtig beobachtet haben und das nächste Mal besser aufzupassen sich vornehmen. Reden sie aber ja von ihren „Ahnungen“, so werden sie todtgeschwiegen. Kurz, es kommt nur die Kunde von den „glücklichen Träumen“ zur Illustrirung der alten Geschichte in’s Volk.

Mit den zufälligen Ereignissen, die durch merkwürdige Umstände auffällig werden, ist es eben so. Wie viel geschieht nicht in der Welt, über das man sich wundern könnte! Hier ist’s eine Mißgeburt, dort ein Todesfall. Gleichviel, der Spieler übersetzt die ganze Natur in seine Zahlen. Einige davon müssen das Nichtige treffen. Wenn man bedenkt, wie ungeheuer zahlreich die Vorfälle sind, auf welche hin „gesetzt“ wird, so ist es durchaus nicht wunderbar, sondern es erscheint nothwendig, daß einer davon einmal die Hoffnungen der Spieler realisirt, während tausend andere ähnliche Fälle vorher und tausend andere nachher sich als nichts bedeutend erwiesen. Daraus aber dann den Schluß ziehen, daß das Ereigniß selbst und die Lottoziehung in gewisser Verbindung und Abhängigkeit von einander ständen, das ist Aberglaube.

Der Traum hat mit der Lottonummer nichts zu thun. Daß die Zahlen, die sich aus ihm herauslesen lassen, auch gezogen werden, ist natürlich und nothwendig. Wie in jeder Compagnie einer immer der Liederlichste sein muß und diesem deshalb eigentlich kein Vorwurf darüber gemacht werden sollte, so muß eine Nummer auch den ersten Gewinn haben – und da sie schließlich alle geträumt waren, so ist ihr Spieler nicht besonders deswegen zu bewundern. Der beste Beweis, daß ein einzelner Traum keine Chance bietet, ist der große Gewinn, den die Lottocassen trotz aller Kartenschlägerei und Weissagerei und trotz alles Ahnens und Träumens machen.

„Aber noch eins,“ höre ich, „das kommt mir doch im höchsten Grade wunderbar vor, daß das Loos, auf welches der Herr Oberlieutenant den großen Gewinn erhielt, von noch Niemandem gekauft war; es scheint doch, als ob –“

„Richtig, das habe ich vergessen zu bemerken: der Collecteur hatte, weil jene Nummer bereits zweimal von dem Freunde unsers H. bezahlt worden war, diesem sie auch zum dritten Male zugeschickt. Da aber diesmal bis zum Ziehungstage Zahlung noch nicht eingegangen war, ließ sich der Collecteur kurz vor der Ziehung durch seinen Lehrling das Loos vom Herrn Lieutenant zurückerbitten.“




Carl Maria von Weber und sein Denkmal.

Eine Skizze von M. M. von Weber.
(Fortsetzung.)

Von großem Einflusse auf das Leben und den Ruf der vier Musiker, die damals um Vogler’s Hausorgel saßen, war ein Schutz- und Trutzbündniß, welches sie in aller Form geschlossen hatten und dessen Tendenz in kurzen Worten darauf hinausging, daß sie in ihrem Kreise sich mit scharfer Kritik die Schwäche jedes ihrer Werke aufdecken, nach außen hin aber einer vom andern nur Ruhm und Ehre verkünden und sich gegenseitig, durch alle erlaubten Mittel des gesprochenen und geschriebenen Wortes, so schnell als möglich zu großem Ruf verhelfen wollten. Vorstand des Bundes, dessen von Weber’s, Meyerbeer’s und Gottfried Weber’s Hand geschriebene Statuten noch existiren, war Weber, der Centralort Darmstadt, von dem aus die Operationen geleitet wurden. Der Bund zerfiel nach einem Bestehen von wenig Jahren, hat aber in dieser Zeit unzweifelhaft dazu beigetragen, den Ruf der Mitglieder schnell zu verbreiten, die dann zum Glück auch sämmtlich das Ihre danach leisteten. In Darmstadt entstand damals unter Weber’s Hand der „Abu Hassan,“ eine kleine komische Oper, die einen raschen Fortschritt Weber’s als dramatischer Componist bekundet, jetzt ganz mit Unrecht von den deutschen Bühnen fast verschwunden ist und damals sehr gefiel. Im Jahre 1810 sah er seine „Sylvana“ in Frankfurt geben. Diese Vorstellung, deren Erfolg eine Luftfahrt der Madame Blanchard zu Nichte machte, sollte verhängnißvoll für Weber werden. Er sah hier zum ersten Male Caroline Brand, die, damals noch halb Kind, die „Sylvana“ tanzte und sieben Jahre später seine Gattin wurde.

Zwei Jahre lang durchzog Weber Deutschland und die Schweiz, überall Verbindungen anknüpfend, überall das Lob seines Charakters und ruhmvolles Andenken an seine Kunstleistungen hinterlassend, überall gleichsam die Minen legend, in die später seine großen dramatischen Werke wie eben so viele Zündfunken fallen sollten. Eben bereitete er sich im Jahre 1812 in Prag zu einer längst projectirten Reise nach Italien vor, da wurde ihm unter verhältnißmäßig glänzenden Bedingungen vom Director des Prager ständischen Theaters, Liebich, der Antrag gemacht, die neu zu schaffende deutsche Oper zu organisiren und dann zu leiten. Seufzend gab Weber diesen Aussichten auf Ehre und Gewinn gegenüber die Reise nach Italien auf. Nicht wenig trugen die Verpflichtungen, die ihm gegen mehrere Freunde durch ansehnliche Darlehne derselben erwachsen waren, dazu bei, ihn zur Annahme dieser Stelle zu veranlassen. „Um als ehrlicher Kerl meine Schulden bezahlen zu können,“ schrieb er, „muß ich in den sauren Apfel beißen.“ Er ging so rüstig an’s Werk der neuen Organisation, daß er den erstaunten Pragern schon nach wenigen Monaten mustergültige deutsche Opern vorführte und das Institut auf eine Höhe hob, die es seit langer Zeit nicht eingenommen hatte; in vier Jahren schuf Weber Orchester, Chor und Personal der Oper in Prag und studirte nicht weniger als 31 neue Werke ein. Doch der Musiksinn der Prager, der sonst in so großen Ehren gestanden hatte, daß Mozart ihn im Sinne trug, wenn er beim Componiren an ein Publicum dachte, schlummerte; Mangel an Anregung und künstlerischem Umgang ließen Weber während dieser Zeit eigentlich nur auf seinen Kunstreisen schöpferisch wirken, während er in Prag nur seinen Directionsgeschäften und, seit dem zweiten Jahre seines Aufenthaltes, seiner Liebe zu Caroline Brand, die er als ausgezeichnete Soubrette nach Prag gezogen hatte, lebte. So reifte z. B. die Frucht seiner glühenden Begeisterung für das deutsche Befreiungswerk in München im Jahre 1815, die Cantate „Kampf und Sieg“; in Berlin etc. die Körner’schen Lieder „Leier und Schwert“, die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_106.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)