Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1861) 730.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

sich erhob und einem ältern Frauenzimmer zur Wohnung zu dienen schien, welchem der Gruß galt.

„Noch mehr, als der liebliche Blumenflor Sie erfreut,“ sagte der Freund im Weitergehen zu mir, „wird es Sie interessiren, wenn ich Ihnen sage, wer die kleine, alte Dame ist, die am Fenster da oben stand und meinen Gruß mit ihrem schwachen, unsichern Blick kaum beachten konnte. Sie mit Ihrem lebendigen Interesse für Geschichte müssen wissen, daß das die einzige noch lebende Tochter des Adam Lux, des heroischen Mainzers ist, der in dem traurigsten Zeitpunkte der französischen Revolution den Muth hatte, für Charlotte Corday seine Stimme zu ihrer Vertheidigung und zur Verdammung ihrer gefühllosen Richter laut und frei zu erheben. Wie Sie ja wissen, wurde er der Märtyrer seiner edlen Freimüthigkeit und fiel ebenfalls der Guillotine zum Opfer.“

Ich war betroffen. „Was, eine leibliche Tochter dieses edeln, viel bewunderten Mannes existirt noch, und zwar hier in Nürnberg? Ich muß sie jedenfalls kennen lernen! Können Sie mich vor meiner Abreise nicht bei ihr einführen?“

„Warum nicht? Obgleich sie nicht gewohnt und wahrlich nicht eingerichtet ist, Fremde zu sehen und zu empfangen, wird sie mir, einem langjährigen Bekannten, nicht verübeln, wenn ich bei einem Besuche Jemand mit mir bringe, der so viel Interesse und Theilnahme an ihrem unglücklichen Vater genommen. Die Tochter hat in anderer Art recht viel Schweres in ihrem Leben durchgemacht.“

Vielleicht kennen einige Leser der Gartenlaube die Geschichte des Vaters nicht. Lux war ein junger, mit dem Weibe seiner Jugendliebe verheirateter Mann und durch dieses Gutsbesitzer in Kostheim in der Nähe von Mainz geworden. Er lebte allgemein geliebt und geehrt in einem kleinen Kreise ausgewählter Freunde, hatte trotz seiner gelehrten Bildung sich aller Ansprüche auf irgend ein Amt vor der Hand begeben, erfreute Sinn und Herz neben seinen ökonomischen und ländlichen Geschäften am Lesen der von ihm so geliebten Classiker und war für Frau und Kind der liebevollste Familienvater.

Die neuen, meteorartigen Erscheinungen am politischen Himmel des Nachbarlandes mußten seinen Geist und sein Denken lebhaft anregen. Wahrscheinlich war er ein näherer oder entfernterer Bekannter des geistreichen Forster, kam vielleicht öfters in jenen Kreis, der, längst angeekelt von den traurigen Zuständen in Deutschland und vorzugsweise von der verkommenen Pfaffenherrschaft, in nächster Nähe mit innerem Frohlocken eine neue Zeit anbrechen sah, ein Morgenroth der Freiheit und der Menschenrechte. Wer kann es jenen Männern verdenken, die ganz gewiß in der Mehrzahl die Edelsten und Gerechtesten, die Vorurteilslosesten ihres Volkes waren, daß sie bei all dem Jammer der damaligen Wirthschaft endlich im Laufe der Ereignisse glauben und annehmen konnten, im Verein mit Frankreich ließen sich ihre hohen Ideale für Gründung und Befestigung neuer und volksthümlicher Staatseinrichtungen besser realisiren?

Lux wurde durch die Wahl seiner Mitbürger zum Mitglied der Nationalconvention jener Städte und Ortschaften ernannt, welche der Aufforderung der französ. Republik, sich frei zu erklären, Gehör gegeben und sich als Rheinisch-deutscher Freistaat constituirt hatten.

Dann wurde er von demselben mit Forster und einem andern Mainzer Bürger Potocki zum Gesandten nach Paris erwählt, um das oben angeführte Gesuch um Anschluß an Frankreich dem französischen Convent vorzutragen. Er entwand sich den Armen seiner geliebten Familie, schöne, weitgehende Hoffnungen für sein Vaterland in der Seele tragend, und seine Gattin, die in ihren Ueberzeugungen ganz mit ihrem Manne stimmte, soll nach dem Zeugniß der Tochter mit allen Schritten desselben vollkommen einverstanden gewesen sein.

Die Mainzer Gesandten trugen das Vereinbarungs-Gesuch vor, und mit allgemeiner Beifallsbezeigung wurde es vom französischen Convent aufgenommen und sofort decretirt den 31. März 1793.

Aber der Aufenthalt in Paris öffnete den Mainzer Abgeordneten die Augen in einer Weise, wie sie nicht erwartet hatten. Besonders Forster und Lux müßten nicht die bedeutenden, die für Wahrheit und Recht glühenden Seelen gewesen sein, wenn nicht das Getreibe, das Wüthen der beiden mächtigen Parteien, die sich bekämpften und mit jener schreckenerregenden Willkür um die Herrschaft stritten, auf sie einen traurigen und darniederschmetternden Eindruck gemacht hätte. Haben wir doch in dem Nachlaß von Forster, in seinen Briefen aus Paris, die vor mehreren Jahren auf’s Neue von Gervinus herausgegeben wurden, deutlich genug den Eindruck gelesen, den die Ereignisse und Zustände im damaligen Frankreich auf das Gemüth dieser nur das Gute und Rechte wollenden Männer machten.

Nach den Vorgängen des 31. Mai und des 2. Juni 1793 zogen sich die geschlagenen Girondisten von Paris zurück nach Caen, welche Stadt sie zum Mittelpunkt ihrer Partei und ihres offenen Aufstandes gegen die Bergpartei machten. Marat, der Haupturheber der letzten Ereignisse, der Führer und Leiter des Berges, war in den Augen des hochherzigen, schwärmerischen Mädchens von St. Saturin (in der Nähe von Caen) die verabscheuenwürdigste Persönlichkeit, die das Unglück und das Verderben über ihr geliebtes Vaterland brachte. Hatte er nicht selbst in öffentlicher Rede geäußert, daß noch zwanzigtausend Köpfe fallen müßten, um die Revolution sicher und fest zu begründen? Sie macht sich auf aus ihrer Heimat, die junge und schöne Charlotte Corday. reist nach Paris, dringt zu dem blutigen Fanatiker, erstickt ihn im Bade und erwartet alsdann ruhig ihre Verhaftung und Verurteilung.

Ihre enthusiastische That blieb nutzlos, die Ereignisse wurden zu mächtig und schritten über die Leiche Marat’s weg ihren fürchterlichen Gang. Aber der Heldenmuth des Weibes, ihre edel gehaltenen Antworten vor dem Revolutionstribunal, dem sie unerschrocken sagte: „Ich hoffte einen Menschen zu tödten, damit ich Hunderttausende damit retten könnte, einen Bösewicht, um Unschuldige sicher zu stellen, ein wildes Thier, um meinem Vaterlande die Ruhe zu geben. Ich war Republikanerin vor der Revolution, und es hat mir nie an Energie gefehlt“ – das erschütterte Viele, deren Herzen für Frankreich schlugen, doch unter der Schändung menschlicher Gesetze und Gefühle in der Stille bluteten.

Lux sah sie dem Tode entgegengehen, den 17. Juli, auf dem schrecklichen Armensünderkarren mit einen, rothen Mantel bekleidet, und war ergriffen von dem Ausdruck des schönen Antlitzes voll Ruhe und Sanftmuth, mitten unter dem Geheule und Gelächter einer bestialischen Menge. Wie der Henker mit Rohheit und Hohn den guillotinirten Kopf dem Volke zeigte, rief eine Stimme aus dem Haufen: „Seht, sie ist größer als Brutus!“

Es war die Stimme des furchtlosen Deutschen. Und am 19. Juli schrieb er jenen Ruf an Frankreich und dessen edlere Bürger, über Charlotte Corday und ihre That. Er mißbilligt darin den Mord an Marat, läßt aber der Tugend und den Beweggründen Charlottens alle Gerechtigkeit widerfahren, appellirt an das Urtheil der gerechten Nachwelt, die das Außergewöhnliche der That erst würdigen werde, obgleich in jenem Moment der ermordete Marat noch ein größerer Gegenstand den Enthusiasmus der Pariser, seine Büste an allen Plätzen aufgestellt, seiner Leiche die Ehre des Pantheon zu Theil wurde. Er spricht ihr eine Ehre und Bewunderung aus, eine Verachtung gegen die Macht ihrer Richter und Henkersknechte, die nothwendig seine Verdächtigung als schlechter Patriot, als Landesverräther nach sich ziehen mußte. Schon vor diesem Schriftstück hatte Lux eine andere Flugschrift herausgegeben: „Avis aux Français“, worin er eben so offen seine Ueberzeugung aussprach, daß es unter dem gefährlichen Streite der Freunde der Ordnung und der Anarchisten mit der Freiheit zu Ende ginge und der Bürgerkrieg die nothwendige Folge sein würde; er versuchte es die Vaterlands- und Freiheitsliebe in dem Herzen jedes Franzosen neu anzufachen, verfluchte die Jacobiner und weihte seine vollständige Achtung den Girondisten.

Beide Schriften vereint bewirkten denn auch seine Verhaftnahme bald nach der Herausgabe. Drei Monate nachher wurde auch er zur Guillotine geführt, – „die,“ wie er in seinen Worten über die Corday sagt, „in seinen Augen nichts mehr ist, als ein Altar, worauf man unschuldige Opfer schlachtet und womit – seit dem reinen Blute, das am 17. Juli darauf geflossen ist – keine Schande mehr verbunden sein kann.“ – Sein Haupt fiel, indem er mit wahrer Seelengröße das Schaffot betreten hatte.

Wedekind meint, er hätte sein Leben retten können, wenn er sich vertheidigt, wenn er eingestanden hätte, seine Schriften in melancholischer Gemüthskrankheit abgefaßt zu haben. Wirkliche Patrioten hätten ihm alsdann zu einem solchen Ausgange verholfen. Aber Lux war ein Deutscher, mit deutscher Wahrheit und Ueberzeugungstreue, die er als Mann höher schätzte, als sein Leben. Er starb lieber, als daß er sich durch eine Lüge rettete. So weit die Geschichte des wackern Mannes.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 730. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_730.jpg&oldid=- (Version vom 16.11.2022)