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Seite:Die Gartenlaube (1861) 702.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

am nächsten Morgen wird man den Flüchtling schlafend in seinem Körbchen finden. – Ferner ist es vortheilhaft, dem kriechenden Frettchen eine Schelle an einem schwachen Wollfaden an den Hals zu hängen. Die Kaninchen werden dadurch frühzeitig gewarnt, und man kann das Verbleiben des Frettchens leichter überwachen. – Drittens frettire man niemals absichtlich bei schlechtem Wetter, in der Hoffnung, alsdann mehr Kaninchen in der Erde zu finden.

Wenn wir uns, schließend, nach dem Werth des wilden Kanins für die Küche erkundigen, so stoßen wir auf die widersprechendsten Meinungen und Vorurtheile. Der Eine rechnet es zu den feinsten Delicatessen, während ein Anderer es für unschmackhaft, wo nicht gar für ungenießbar erklärt. Die Wahrheit dürfte auch hier in der Mitte liegen. Das Kanin nimmt (im Gegensatz zum Hasen) bis zu einem gewissen südlichen Breitengrade fortwährend an Stärke und Güte des Wildprets zu. Außerdem kommt die Jahreszeit des Abschusses, das Alter des Individuums und vor Allem die Zubereitung mehr als bei anderem Wilde in Betracht.

Zwischen einem allen Rammler, der zur Winterzeit erlegt wurde, wo er nur selten den dumpfigen Bau verläßt, und einem jungen Kanin, welches den ganzen Sommer bei üppiger Nahrung im freien Felde lebte, ist allerdings ein großer Unterschied. Unter allen Umständen wird indeß ein einfach gebratenes Kanin ein ziemlich fades Essen bleiben, denn ein weißes, weichliches, dem Hühnerfleisch ähnliches Wildpret eignet sich vorzugsweise zu piquanten Ragout-, Pasteten etc. Daher spielt das „Lapin“ in französischen Kochbüchern eine größere Rolle als der Hase, und französische Gastronomen und Gourmands haben ihm weitläufige Capitel in Prosa und gebundener Rede gewidmet, während es bei uns eine ebenso zweifelhafte Stellung einnimmt, als Dachsschinken und Ziegenbraten.

Ludw. Beckmann.




Die drei Großmächte.

Sittenbild aus dem vorigen Jahrhundert.
Von Levin Schücking.
Schluß
6.

Am andern Tage rückte aus der Burg Hohenklingen eine feierliche Gesandtschaft aus, um sich nach Großlingen zu begeben. Sie bestand aus den zwei von dem Reichsgrafen zum Conseil beschieden gewesenen Beamten und einem reichsgräflichen Trompeter. Alle Drei waren in ihrem Gallacostüme, die Herren in gallonirten Kleidern mit großen Allonge-Perrücken, der Trompeter in der auf allen Nähten mit breiten Tressen besetzten Montur, alle Drei zu Pferde.

Zu gleicher Zeit verließ der Reichsgraf mit einem Paar berittener Diener das Schloß, um sich gen Triefalten zu begeben. Er kehrte bereits um Mittag in heiterster Stimmung zurück.

„Alles geht gut, Aglaë,“ rief er seiner Tochter entgegen, als er über ihre Schwelle trat. „Seine hochwürdigen Gnaden sind bestens mit einem Anschlag contentiret, der zum Zweck hat, die fürsichtigen Herren von Großlingen zu dupiren. Ich fand den geistlichen Herrn in großer Irritation wider dieselbigen, weil sie sich auf Kosten des Stiftes berühmen, den rechten, echten Missethäter trotz Stift und Reichsgrafschaft in ihrer Gewahrsam zu halten. Er wird nicht verfehlen, pünktlich einzutreffen. Meine Beamten sind von Großlingen noch nicht zurück?“

Sie waren noch nicht zurück. Aber bevor der Graf vom Diner, dem er heute zum ersten Male wieder seine volle Theilnahme zuwendete, sich erhoben, wurden die Herren angekündigt und hereingeführt. Sie berichteten, daß der Magistrat von Großlingen ihr Ansuchen in feierlicher Sitzung entgegengenommen und in des Grafen Begehren, von ihnen ein freies Geleit, um in der Stadt zu erscheinen und mit ihnen verhandeln zu können, zu erhalten, ohne Rückhalt gewilligt. Zu Urkund deß übergaben sie ihrem Gebieter eine Schrift, welche mit dem großen Stadtsiegel befestigt und mit mehreren Unterschriften versehen war. Nachdem Cosimus das Document durchlesen, nickte er lächelnd seiner Tochter zu und dann erhob er sein Glas und trank mit einem Ausdruck von Ironie, der nicht unterließ aller Anwesenden gehorsamstes Gelächter hervorzurufen, die Gesundheit des hochweisen und fürsichtigen Magistrats.

Am folgenden Morgen, um die zehnte Stunde, wurde die Reichsstadt Großlingen in Bewegung gesetzt durch das Eintreffen einer höchst stattlichen und zahlreichen Cavalcade, welche sich über das gefährliche und an Abgründen reiche Pflaster dieser ausgezeichneten Stadt in langsamem Schritt nach dem Rathhause zu bewegte. An der Spitze dieses Zuges ritten Seine Erlaucht, der gnädigste Herr Reichsgraf Cosimus der Zwanzigste, der hochwürdige gnädige Prälat des freiadligen, reichsunmittelbaren und infulirten Stiften von Triefalten, und zwischen Beiden die junge Gräfin Aglaë, deren Antlitz, durch den Ritt in der frischen Morgenluft geröthet, aussah wie eine blübende Rose. Hinter ihnen kam ein glänzendes Gefolge der beiderseitigen Dienerschaften.

Die Herrschaften hielten vor dem Rathhause, einem alterthümlichen Giebelgebäude mit verwitterten Kaiserbildern über den Bogen und Säulen, welche die Fronte trugen und eine offene Halle oder „Laube“ bildeten, worunter der regierende Amtsbürgermeister, Herr Elias Erchenrodt, eine schwere, goldene Kette auf der Brust, neben dem rechtskundigen Collegen, dem Syndicus Schaumlöffel, sich aufgestellt hatte, um die Ankommenden geziemend zu becomplimentiren und in die große Rathsstube zu führen. Als dieses geschehen und die Herrschaften vor einer Reihe von äußerst ehrwürdig aussehenden und löwenmuthig dasitzenden Männern, die das Vertrauen ihrer Mitbürger an diesen Ehrenplatz geleitet hatte, auf drei für sie aufgestellten Armsesseln Platz genommen, eröffnete der Syndicus als amtliches rhetorisches Organ der Gemeinde die Verhandlungen, indem er in sehr wohlgesetzten Worten des Weiteren entwickelte, wie der Senat und das Volk der schon im Alterthume sehr berühmten, namentlich aber in neueren Zeiten durch die weise Fürsorge ihrer Lenker zu großem Ansehen und erweiterter Macht und Autorität gekommenen Republik Großlingen es sich zu einer hohen Ehre schätze, zwei so fürnehme und hochansehnliche, erlauchte und respective hochwürdigst gnädige Herren in ihren Mauern zu begrüßen; wie zwaren in den jüngsten Tagen gewisse, nicht näher zu specisicirende betrübliche Irrungen und Wirrungen in den beiderseitigen politischen Beziehungen eingetreten; wie jedoch Senatus populusque Grosslingensis seine freundnachbarlichen Gesinnungen darum nicht so sehr vergessen habe und jemals vergessen könne, daß es eines Schrittes bedurft habe, wie der am gestrigen Tage von Seiner Erlaucht beliebte, dem man jedoch dienstwilligst auf der Stelle durch Erfüllung des in geziemendster Weise angebrachten Wunsches deferiret …

„Ja, ja, Ihr habt meinen Wunsch erfüllt,“ unterbrach hier der Reichsgraf die treffliche und zierlich gesetzte Rede, „Ihr habt mir das verlangte freie Geleit für mich und meine Familie und meine Begleiter ausgefertigt; ich danke Euch dafür, meine ehrenfesten, fürsichtig wohlweisen Herren. So bin ich denn, im Vertrauen darauf, persönlich hier erschienen, in der Hoffnung, Ihr wollet mir einen zweiten Wunsch und ein freundnachbarlichst unter gleichem Diensterbieten gestelltes Begehren nicht abschlagen; und das ist, daß Ihr mir vergönnt, hier in Eurer Gegenwart und sogleich ein Wort persönlich mit Eurem Gefangenen reden zu dürfen.“

Dies Begehren konnte nichts enthalten, was für das wider den Inhaftirten instruirte Verfahren bedenklich, für des Senats und Volks von Großlingen Würde unzukömmlich, für des Kaisers und des Reichs freie Stadtgemeinde präjudicirlich erschien. Nachdem der Amtsbürgermeisler über die Sache die Vota seiner Collegen gesammelt, wurde deshalb der einstimmige Beschluß gefaßt, daß sothanem geziemendlich vorgebrachten Ansuchen Cosimi zu deferiren sei. Es erhielten die zwei aufwartenden Weibel und Rathsdiener den Befehl, Captatum aus seiner Haft hervorzuholen und „in medio zu gestellen“.

Es dauerte eine ziemlich geraume Weile, bis Albrecht von Werdenfels in Folge dieses Senatsconsults aus dem Gefängniß, einem sonnigen Thurmzimmer im Hinterbau des Rathhauses, das man ihm mit Berücksichtigung seiner geltend gemachten Herkunft

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 702. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_702.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2020)