Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1861) 420.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

einige Augenblicke vor ihr knie’n, als wollte sie nicht durch irgend eine rasche Bewegung die kurze Ruhe unterbrechen oder gefährden.

Mit einmal horchte sie hoch auf, und über das schwachbeleuchtete Gesicht flog rasche Röthe. Dann erhob sie sich sachte, liest behutsam die Hände der Mutter auf die Kissen gleiten und schlüpfte lautlos an das Fenster. Der Schlag eines Finken, wie er im Auswärts lockt, war durch die Nacht hörbar geworden – und trotz des tief hereingebrochenen Nachtdunkels liest sich an der Umzäunung des kleinen Vorgärtchens am Hause die Gestalt eines Mannes erkennen, der nach dem dämmernden Fenster empor sah.

Geräuschlos öffnete sich das Fenster; Vesi’s weiße Hand winkte dem Harrenden einen Gruß zu. „Seit wann ist denn das der Brauch,“ flüsterte sie hinunter, „daß die Finken bei der Nacht schlagen?“

„Der Fink singt, wie’s Tag wird,“ flüsterte es entgegen; „das Licht da droben muß ihn verführt haben!“

„Der arme Narr ist wohl blind,“ kicherte das Mädchen, „weil er den Tag und ein Nachtlicht nicht auseinander kennt?“

„Das ist nichts Seltsames bei den Finken,“ antwortete der Bursche, „Du weißt wohl, daß man sie blendet, damit sie nicht mehr wissen, wie sie im Jahr sind, und in einem fort singen …“

„Das hat wenigstens das Gute,“ sagte Vesi, „daß man nicht fürchten muß, daß es einem solchen unter der Hand einfällt, davon zu fliegen und sich ein anderes Quartier zu suchen.“

„Wenn er in dem rechten Quartier ist,“ lautete die Antwort, „so fliegt er nicht fort, und wenn Du ihm alle Thürl’n im Käfig offen stehen läßt …“

„Da müßt’ man sich halt,“ lachte Vesi, „um einen tüchtigen Bildschnitzer umschau’n, der einen recht schönen Käfig zusammenschnitzeln that … kannst Du mir vielleicht einen verrathen?“

„Ich wollt’ wohl,“ entgegnen der Bursche, „aber ich muß Dir vor Allem sagen, wegen was ich heut’ noch so spät hergekommen bin zu Dir …“

Der Bursche wollte eben zu erzählen anfangen, als ein schwerer Stein, mit aller Gewalt geschleudert, neben ihm niederfiel. „Himmelsacrament,“ schrie zugleich eine rauhe, zürnende Stimme, und ein Mann sprang von der nächsten Straßenecke gegen das Haus hinzu. „Wer untersteht sich da, an’s Kammerfenster zu gehen? Wer ist der Kerl, daß ich ihm das Genick brechen kann?“

Es war die Stimme des Holzgrafen. Wie er die Umzäunung und das Haus erreichte, traf er Niemand mehr; der Bursche hatte sich leicht und schnell über die Planke eines benachbarten Gartens geschwungen, und das Fenster schaute so trübselig herunter, als ob es sich nie zu so zärtlichem Geplauder geöffnet hätte.

Der Holzgraf stürmte die Stiege hinan; im nächsten Augenblicke wurde die Thüre der Oberstube aufgestoßen und schlug schmetternd an die Wand, daß die Bäuerin erschreckt und schreiend aus dem Schlummer auffuhr. „Heilige Mutter von Ettal!“ rief sie bebend, „was ist denn passirt…?“ Sie hatte sich aufgerafft und blickte mit geisterhaft aufgerissenen Augen in das zornglühende Angesicht des Bauers. „Du bist’s, Korby?“ stammelte sie dann, „Du kommst noch bei sinkender Nacht? “

Der Bauer erwiderte nicht sogleich; er ließ die rollenden Augen auf der Mutter und auf der Tochter hin und her gleiten, welche weiß wie ein Tuch, aber aufrecht ihm gegenüber stand und ihm fest in die Augen sah. „Ja, ich bin’s!“ schrie er dann. „Habt mich nit mehr erwartet heut? Bin ich Euch über den Hals gekommen wie der Spitzwürfel dem armen Sünder? Ich muß wohl bei sinkender Nacht kommen, damit ich die saubere Aufführung erfahre, die man hier führt!“

Die Bäuerin griff sich wie fragend an die schmerzende Stirn, schüttelte den Kopf und sagte: „Ich versteh’ Dich nit, Korby … was hast Du denn?“

„Wenn Du’s nit weißt,“ polterte der Mann, „dann schau’ die an, die vor Dir da steht wie das böse Gewissen selbst! Ich bin von der Stadt hereingekommen und hab’ gleich wieder eingespannt, wie mir Deine Post ist ausgericht’ worden, und ich bin gerad’ recht gekommen. Ich hab’ die Gäul’ nur schnell beim Wirth drüben eingestellt, und bin herüber zu Dir – wie ich an’s Haus herkomm’, hab’ ich gemeint, der Blitz müßt’ mich in den Erdboden hineinschlagen …“

Die Kranke hatte nicht mehr vermocht, sich aufrecht zu halten, und war wieder auf das Lager am Ofen zurückgesunken. Auch sie starrte jetzt fest und angstvoll auf das noch immer unbeweglich dastehende Mädchen. „Was war’s denn?“ flüsterte sie kaum hörbar.

„Was es war?“ rief der Bauer und seine Stimme milderte sich unwillkürlich … „O Vesi, Vesi – daß Du mir das anthun kannst … daß ich so was an Dir erleben muß, an der Einzigen, die meine Freud’ gewesen ist und meine Hoffnung. Ich hab’ sie am Fenster angetroffen, Weib, und drunten einen Burschen, mit dem sie schön gethan hat …“

Vesi schien jetzt wieder Leben zu bekommen. Sie trat zu der Mutter hin, strich ihr mit der Hand beruhigend über die Stirn und sagte mit zärtlichem Tone: „Mach’ Dir keine Sorg’ um mich, Mutter – es war nichts Unrechtes – es war der Domini – mit dem hab’ ich ein paar Wörteln aus dem Fenster geredt …“

„So? Das ist nichts Unrechtes?“ schrie der Bauer wieder auffahrend. „Und die Mutter findet wohl auch nichts Unrechtes darin, weil sie nichts sagt? Wer ist dann der Domini, mit dem Du so ungenirt bei eitler Nacht zum Fenster hinaus discurirst?“

Vesi ging zu ihrem Vater hin, faßte die eine Hand, die er ihr nicht lassen wollte, dann aber doch wie widerstrebend ließ: der Blick des Mädchens hatte eine eigene Macht über ihn. „Ich will Dir wohl sagen, Vater,“ begann sie, „wer der Domini ist. Ich hätt’ es Dir morgen gesagt, denn heut haben wir Dich nit mehr erwartet; ich hätt’ es Dir schon vor sechs Wochen gesagt, wenn Du zu uns gekommen wärst. Der Domini ist der Bursch, den ich so lieb hab’ wie mein Leben und den ich mir zum Mann ausgesucht hab … Der Bauer, dunkelrothen Zorn im Gesicht, hob die Faust über Vesi zum vernichtenden Schlage – dann schlug er sich selbst damit vor die Stirn und brach, sich in einen Stuhl werfend, in wildes erschreckendes Gelächter aus. „So,“ rief er, „hat sich das Töchterl einen Mann ausgesucht? Und die Mutter hat fein mitgeholfen und gekuppelt? Und der Vater erfährt’s, weil man ihm’s doch nicht mehr verschweigen kann, und soll fein auch geduldig Ja dazu sagen? Na ja – recht gern! Warum denn nicht? Aber zuerst möcht’ ich doch wissen, wer der Schwiegersohn ist, den Ihr mir ausgesucht habt …“

„Das versteht sich, Vater,“ sagte Vesi, so ruhig wie zuvor. „Es ist der bravste Bursch in ganz Oberammergau, der Sohn von dem braven Mann, der im vorigen Jahr im Hochwasser zu Grund gegangen ist, wie er die zwei Kinder aus der Ammer geholt hat, …“

Der Bauer brach wieder in sein wüstes Lachen aus. „Ist das die Möglichkeit?“ schrie er. „Der Tagwerkerbub, der Tafelschmierer, der Bettelmann soll mein Schwiegersohn werden? Thät’s ihm wohl, sich in das reiche warme Nest hineinzusetzen, das ich zusammen getragen hab’? Nein, da habt Ihr Euch verrechnet alle Zwei … die Leut’ heißen mich den Holzgrafen und meinen, sie thun mir einen Spott an damit – aber sie haben Recht, ohne daß sie’s wissen … ich bin so gut ein Graf, wie ein Andrer! Das Geld hab’ ich dazu und den Grafen-Sinn dazu hab’ ich auch, das sollt Ihr erfahren! In mein Haus kommt kein Andrer, meine Tochter kriegt mit meinem Willen kein Andrer – als den ich ausgesucht hab’, und der sich neben den Holzgrafen einstellen kann an Geld und Sinn – dabei bleibt’s, so gewiß als ich Korbinian Loder heiße, und eh’ ich davon abgeh’ und mich abspenstig machen lass’, eher jag’ ich Weib und Tochter aus dem Haus’ – eher will ich meinen Hof um ein Spottgeld verkaufen und den Ammergauern die Freude machen, daß sie den Holzgrafen in Taglohn arbeiten sehn!“

(Fortsetzung folgt.)



Deutsche Bilder.

Nr. 8. Der Salzburger Jammer.


Ueberblicken wir die historische Entwicklung der süddeutschen Zustände, so stoßen wir immer und immer wieder auf eine der traurigsten Erscheinungen. Pfäffische Verdummung des Volkes in Verbindung mit engherziger, egoistischer Politik der Höfe war es, was Jahrhunderte hindurch die biedersten, kernigsten, begabtesten deutschen Völkerstämme verhindert hat, den ihnen zukommenden

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 420. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_420.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)