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Seite:Die Gartenlaube (1861) 196.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

„Die Person ist auch fort. Nur ihre Harfe und ihr Hut sind da.“

Und nun hieß es auf einmal: „Sie sind zusammen fort.“ Und die Leute wurden still, und die Gesichter bekamen wieder Farbe und sahen einander klug und geheimnißvoll an. „Die schlechte Person!“ sagten nur die Mägde.

Der Kutscher des Assessors aber schüttelte nachdenklich den Kopf und meinte: „Wer hätte das von dem ehrenfesten langen Herrn, einem königlichen Regierungsassessor, gedacht? Mit einer Harfenistin durchzugehen!“

Der Krüger und seine Frau, der Dolmetscher und ich, wir sprachen kein Wort. Und kein Anderer wußte von dem Ueberfall der Russen. Ich mußte des Morgens um acht Uhr mit den russischen Beamten an der Grenze zusammentreffen.

„Sie fahren mich wohl hin?“ sagte ich zu dem Kutscher des Assessors.

Er fuhr mich hin. Der Ort des Zusammentreffens war das nächste Grenzcordonhaus. Ich war schon erwartet. Der russisch polnische Schlagbaum öffnete sich ohne Hinderniß, und der Wagen hielt vor dem Cordonhause, dort wurden auch die ersten Verhandlungen aufgenommen. Während derselben kam auf einmal der Kutscher des Assessors zu mir; sein Gesicht war leichenblaß, er zog mich auf die Seite.

„Herr Director, der Assessor ist hier.“

„Was! Der Assessor hier?“

„Und die Harfenistin auch.“

„Wo sind sie?“

„Hinten an dem Cordonhause ist ein kleiner Anbau, halb unter der Erde, er sieht aus wie ein Schweinestall. Ich wollte mir ihn besehen; auf einmal sah ich hinter einem kleinen grünen Fenster ein Gesicht, es war schrecklich blaß. Großer Gott, wollte ich rufen, ist das nicht der Herr Regierungsassessor Häring? Da hatte auch er mich gesehen. Christian Dahlmann! rief er. Braver Dahl – Er konnte den Namen nicht nochmals aussprechen. Er wurde von hinten von dem Fenster zurückgerissen. Aber da erschien wieder ein anderes Gesicht an dem Fenster, ein Frauengesicht, es war die Harfenistin. Retten Sie uns, Bester! rief sie. Auch sie wurde zurückgerissen. Der Schreck hatte mich beinahe lahm gemacht, ich lief fort; die Person hörte ich noch in dem Loche schreien; den armen Herrn hörte ich nicht mehr. Aber wie konnte er auch mit der Person durchgehen und gar hierher nach Polen? Das kommt dann von solchen dummen Streichen.“

Ich suchte ihn zu beruhigen. Dann sprach ich mit dem Chef der russischen Untersuchungscommission. Er hörte mir sehr aufmerksam zu; als ich ausgeredet hatte, sagte er sehr verständlich: „Ich bedauere sehr, das ist eine Angelegenheit, in die ich mich nicht mischen kann; sie geht eine andere Behörde an. Die beiden Personen werden indeß vielleicht nach Warschau gebracht werden, und dort wird sich Alles aufklären.“

Mir wurde doch angst. Wer war der eigentliche Schmied des Schicksals der beiden Gefangenen? Den Krüger hatte ich als Seelenverkäufer, als Menschenräuber verfolgen wollen. Und ich –? Mich überlief es heiß. Der russische Beamte blieb taub für alle Gründe, Vorstellungen und Bitten. Aber sein Schreiber war wenigstens nicht taub für klingende Argumente; für einige Silberrubel versprach er mir die Befreiung der beiden Gefangenen. Ein paar Silberrubel! mehr war der preußische Regierungsassessor, der königliche Geheimrath, Präsident, Ritter des rothen Adler und anderer hohen Orden, dem Russen nicht werth, er sammt der Harfenistin nicht. Sie mußten auf ihre Erlösung nur bis zum Dunkel des Abends warten. Als ich nach Beendigung meiner Geschäfte spät Abends mit meinem Dolmetscher zurückkehren wollte, war der Wagen nicht mehr da. Wir gingen zu Fuße an den Schlagbaum; der Grenzbeamte sah uns verwundert an.

„Die beiden Herren sind noch da?“

„Wie Sie sehen.“

„Aber Sie sind ja schon vor ein paar Stunden in Ihrem Wagen zurückgefahren.“

„Dann könnten wir jetzt nicht hier sein.“

Das war eine Logik, die er begriff. Ob ihm zugleich etwas Anderes klar wurde, weiß ich nicht; er ließ uns ungehindert die Grenze passiren. Im Kruge war der Assessor zwei Stunden vor uns mit der Harfenistin angekommen; sie waren aber Beide bei unserer Ankunft nicht mehr da. Der Assessor hatte kein Wort gesprochen, er hatte seine Zeche bezahlt und war dann nach Gumbinnen zurückgefahren; sein Kutscher hatte nur stumm und bedenklich den Kopf geschüttelt.

Die große Harfenistin, der die Mägde auf den Kopf zugesagt hatten, sie sei eine schlechte Person, die den Krug in Verruf bringe, hatte sich vertheidigen wollen und erzählte, wie sie in der Nacht sammt dem Assessor von den Russen gewaltsam entführt und über die Grenze geschleppt worden sei. Da wurde man wegen solcher frechen und handgreiflichen Lügen erst recht entrüstet über sie, und sie mußte machen, daß sie aus dem Kruge und aus dem Dorfe kam.

Zum Unglück für Beide, den Assessor und die Harfenistin, blieb die Sache auch ferner unaufgeklärt. Ihr glaubte man auch anderswo nicht. Und dem armen Assessor, als er, nach Hause zurückgekehrt, seinem Collegium über den empörenden Grenzexceß und das gegen ihn verübte Attentat Vortrag halten wollte, wurde der freundliche Rath ertheilt, über die Angelegenheit das tiefste Schweigen zu beobachten; höheren Orts sehe man die Grenzexcesse nicht gern. Für eine Belohnung seiner Discretion werde gesorgt werden.

In der That wurde er bald Regierungsrath; dann erhielt er den rothen Adlerorden; später wurde er Geheimrath. Daß er auch Präsident geworden sei, habe ich bis jetzt nicht erfahren. Vielleicht trägt diese Erzählung zu seiner weiteren Beförderung bei. Hoffentlich hat sie auch noch ein anderes Verdienst. An der polnischen Grenze erzählt man noch immer von einem Assessor aus Gumbinnen, der mit einer Königsberger Harfenistin nach Polen durchgegangen, aber von den Russen zurückgeschickt sei. Die guten Leute werden sich jetzt eines Besseren belehren lassen.




Mein liebes Kind, Ade!

Dort unten ist tiefer Schatten,
Du schläfst in guter Ruh,
Es deckt mit grünen Matten
Der liebe Gott Dich zu.

Die alten Weiden neigen
Sich auf Dein Bett herein,
Die Vöglein in den Zweigen.
Sie singen treu Dich ein.

Und wie in goldnen Träumen
Geht linder Frühlingswind
Rings in den stillen Bäumen –
Schlaf’ wohl, mein süßes Kind!

Mein liebes Kind, Ade!
Ich konnt’ Ade nicht sagen,
Als sie Dich fortgetragen,
Vor tiefem, tiefem Weh.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 196. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_196.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)