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Seite:Die Gartenlaube (1861) 150.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

werde, dem dann „Wodan“, so hieß die Rüde, auf den Hals gehetzt werden sollte, was ein besonderes Privatvergnügen für den originellen Besitzer des Hundes geworden wäre. Aber es kam anders.

Die Schützenlinie war bereits eine Weile angestellt. Trampelnd hatte man sich einen schneefreien Fleck getreten, um die Füße möglichst vor der Kälte zu schützen, als man in der Ferne die ersten Hornsignale hörte, die die Treiber, welche an den äußersten Lappen angelegt waren, abbliesen. Mit rascher schlagendem Herzen wartete ich gespannt auf das Wild, das, wenn das Treiben richtig ging, den Schützen gegenüber über eine Blöße kommen mußte. Ruhig lag das tiefüberschneite Gehau vor mir, das von einer Dickung geschlossen wurde. Glänzend schien die Sonne darauf, so daß sich die Unebenheiten in dem mit Haidekraut bestandenen Terrain tiefblau markirten. Fast geblendet, ließ man dennoch keinen Gegenstand aus dem Auge, und schon ein aus dem Dickicht herüberfliegender Schwarzspecht, der sich, wie zum Hohne, dicht neben mir an einem dürren Buchenstamme niederließ, um hämmernd nach Larven zu suchen, machte mich aufzucken. An dem Klappern der Stöcke, die die Treibeleute hin und wieder gegen die Kiefern schlugen, hörte man, wie dieselben vorrückten. Die Folge davon war, daß sehr bald der Raubritter vom rothen Pelze – Freund Reinecke – auf einen Augenblick am Rande der drüben liegenden Dickung erschien, aber eben so schnell wieder verschwand, um wahrscheinlich inwendig am Rande gedeckt hinzuziehen und zu sehen, „wo der Zimmermann das Loch gelassen“ habe. Endlich, nachdem die Treiber immer mehr vorgerückt waren, hörte man es drüben brechen – und ein Hirsch trat heraus, dem noch vier, unter ihnen als letzter der Zwölfender, folgten. Einen Moment blieb der ganze Trupp ruhig stehen und äugte herüber; da sie aber die Treiber hörten, trollten sie vorwärts, leider von mir ab, doch der Schützenlinie zu. Vor der Hand blieb mir also nichts als die Beobachtung übrig, ohne daß ich dabei das Gegenüber, wo jeden Augenblick der Trupp Wild mit dem alten Thiere erscheinen konnte, vernachlässigte. Meiner Meinung nach mußten die Hirsche bereits auf Schußweite an die Schützen herangekommen sein, aber noch fiel kein Schuß. Da machten sie plötzlich Halt. Seitwärts von mir, weit ab, stieg ein blaues Wölkchen auf, die Hirsche wendeten, wobei der Zwölfender entschieden zeichnete[1], welcher Wahrnehmung donnernd der erste Schuß durch die helltönende Luft nachdröhnte. Rasch hintereinander folgten noch mehrere Schüsse. In rasender Schnelle durcheilten die Flüchtigen die schneeige Fläche, daß der flaumige Krystall in Wolken emporstiebte, die in der Sonne wie ein Heer blitzender Sternchen funkelten. Vor dem Holze machten sie nochmals Halt. Man sah, daß sich der starke Hirsch, der jedenfalls eine Kugel hatte, vom Trupp trennen wollte, aber doch, als jetzt die Treiber laut wurden und der Trupp Mutterwild flüchtig aus dem Dickicht brach, sich mit den abermals fliehenden Hirschen wieder in Bewegung setzte und ganz am Ende, zwischen dem letzten Schützen und den dort stehenden Lappen, die Linie passirte. Mehrere Schüsse, die noch fielen, gaben ihm das Geleit, ohne jedoch von Erfolg zu sein. Nun kam auch das Wild in’s Feuer; da jedoch nur auf das alte Thier geschossen werden durfte, und nicht alle Schützen so sicher im Heraussuchen waren, so wurde, obgleich der Trupp fast die ganze Schützenreihe passirte, verhältnißmäßig wenig geschossen und kein Stück verletzt.

Ein losbrechendes „Hua, Sau, Sau!“ unter den Treibern, kündete jetzt Sauen an, aber diese, durch das viele Schießen bereits kopfscheu geworden, gingen nicht heraus, sondern brachen, wie man hörte, durch die Treiber und, wie wir später erfuhren, seitwärts auch noch durch die Lappen. Als die Treiber alle heraus waren und „Ganz machten“[2], wurde beschlossen, das Treiben von der anderen Seite wieder herumzuholen, wobei die Schützen also gleich auf ihren Ständen stehen bleiben mußten, nur daß sie sich umdrehten, an welcher abwartenden Lage freilich die Zehen – wenigstens die meinigen – nicht eben Wohlgefallen hatten. Gewiß eine halbe Stunde hatten wir bereits ruhig gestanden, wozu nun die Aussicht kam, wenigstens doppelt so lange wieder auf einem Flecke aushalten zu müssen, da, ehe die Treiber an die gegenseitigen Lappen angelegt wurden, recht gut ein halbes Stündchen vergehen mußte, und dann bis zum Herankommen des Treibens mindestens ebensoviel Zeit erforderlich war. Die Spannung hilft aber glücklicherweise auch über solche frostige Zeitabschnitte hinweg. Wieder hörte man die Signalhörnchen ertönen, und das Treiben setzte sich in Bewegung. Diesmal ließen die nun schon angstvoll regegewordenen Hirsche nicht lange auf sich warten, bald kamen sie durch das hohe Holz, welches wir jetzt vor uns hatten, geflogen. Mancher Schuß krachte ihnen zu, und da natürlich die Meisten auf den Zwölfer, den die Aufregung noch immer beim Trupp gelassen hatte, schossen, so gingen seine jüngeren Cameraden abermals wie gefeit frei aus, während der bereits Angeschossene wieder zwei Kugeln erhalten hatte, doch ohne zu stürzen. Die Hast, mit welcher die Hirsche beschossen worden waren, wirkte günstig für das im vollsten Fliehen gleich hinterher kommende Mutterwild, so daß nur ein paar Schüsse, und zwar ohne Erfolg, auf sie abgefeuert wurden. In brausender Flucht flog Alles über das Gehau, und nur der Zwölfer bog, nun schwer krank, nach der Seite ab, um sich dort in’s Dickicht zu stecken und niederzuthun. Jetzt kam man überein, dem angeschossenen Hirsche Ruhe zu lassen, dagegen das sämmtliche andere Wild noch einmal herumzuholen, wobei ich vorzog, mit den Treibern zu gehen, da zu vermuthen war, daß das aufgeregte Wild, statt vorzugehen, durch das Treiben brechen würde.

Wie gedacht, so geschehen. Kaum daß die Leute ein Stück vorwärts waren, kam der ganze Troß, jetzt Hirsche und Wild beisammen, in tollsten Sätzen gerade auf die lärmenden Bauern zu, und ehe ich – im Dickicht – schießen konnte, hatten sie die Linie durchbrochen und fielen über die Lappen. Dies war ein herrlicher Anblick. Ein Achtender war der Erste, der mit gewaltigem Sprunge die etwa sechs bis acht Ellen hoch gestellten Lappen überfiel und das ganze hinterdrein kommende Wildpret zu gleichem Wagniß veranlaßte. Wie die Bolzen schossen alle nach, entweder drüber weg oder zwischen die Reihen der Lappen durch, wobei ein Hirsch, sich in den Leinen verwickelnd, zum Stürzen kam, sich aber im Augenblicke wieder aufraffte und den andern im Fluge folgte. Wohl schoß ich dem Ueberfallenden eine Kugel nach, aber, wie vorauszusehen, ohne Erfolg. Da jetzt außer dem tödtlich verwundeten Hirsche nichts mehr im Jagen war, war also die eigentliche Jagd beendet; doch da es noch früh am Tage war und der angeschossene Zwölfer, wenn nicht bereits verendet, doch sehr krank sein mußte, entschloß man sich zur sofortigen Nachsuche, die, hätte die Jagd länger gewährt, erst des andern Tages vorgenommen worden wäre. Der Schnee erleichterte das Vorhaben. Bald hatten wir die Schweißfährte. Ein Jäger, der behutsam darauf fortging, da die Treiber hierbei nicht angewendet werden sollten, kam bald darauf wieder zu den vorher angestellten Schützen zurück, mit dem Berichte, er habe den jedenfalls dem Verenden nahen Hirsch sitzen sehen, habe ihn aber absichtlich nicht vollends todtgeschossen, weil er geglaubt, daß vielleicht Wodan, der bisher nur Sauen gejagt hatte, an ihm für Rothwild genossen[3] gemacht werden könnte, da im vorliegenden Falle kaum an ein Entrinnen des Hirsches zu denken sei. Die Idee fand allseitig Anklang, und die schnaufende Rüde wurde auf der Fährte herangeführt. Natürlich ging ich mit, um einen so vielversprechenden Jagdmoment nicht zu versäumen.

Ziemlich nahe herangekommen, sah man den Hirsch auf einer kleinen Blöße im Dickicht, augenscheinlich todtkrank, sitzen. Jetzt wurde der Hund vom Riemen gelöst, und wie ein lebendiger Teufel stürzte er auf sein Opfer zu. Anstatt daß aber der Hirsch, wie wir vermuthet, nicht aufzukommen vermochte, oder doch bei einem etwaigen Versuche dazu zusammenbrach, raffte er sich im Gegentheil so plötzlich empor und wurde mit einer Eile flüchtig, daß an ein Schießen auf ihn gar nicht gedacht werden konnte. Fort stürmte nun die wilde Jagd, daß es knackend und krachend durch das Dickicht tönte, wozu das heulende Gebell des gierigen Hundes die Begleitung gab. Sofort, als der Hirsch flüchtig wurde, war ich im Sprunge nach, und, obgleich im Moment weit hinter den Dahinstürmenden zurückbleibend, gewann ich im Laufe der Zeit doch manchen Vorsprung durch Abschneidung größerer Strecken, die ich je nach der Richtung, wo der Hund laut war, in Wegfall brachte, so daß ich eben dazu kam, wie der tödtlich geängstigte Hirsch mit einer Federkraft, die dem gesündesten Ehre

  1. Zeichnen: markiren, daß das Wild getroffen ist.
  2. Ganz machen: gleiche Linie herstellen.
  3. Genossen machen: begierig machen; hier auf das Rothwild, da es oft vorkommt, daß ein Hund mit wahrer Wuth jede Sau verfolgt, ohne Rothwild anzusehen; ebenso umgekehrt.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_150.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)