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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

einer Handschrift herbeiführen konnte, und für die gesammte classische Literatur nur äußerst wenige handschriftliche Reste von so hohem Alterthum aufgefunden worden sind.

Aber in der That war ein so seltener glücklicher Fund unserer Zeit vorbehalten. Als ich im Mai des Jahres 1844 zum ersten Male den Sinai und sein Kloster besuchte, und unter der Gunst eines erfahrungsreichen, vortrefflichen der Bibliothek vorstehenden Mannes die Bibliothekräume durchsuchte, fand ich zur größten Ueberraschung in einem Korbe mit Resten von verschiedenen alten theilweise verdorbenen Handschriften, dergleichen schon zwei Körbe voll als unbrauchbar ins Feuer geworfen worden waren, mehrere Fragmente von einer griechischen Bibelhandschrift auf Pergament, in der ich vermöge meiner Vertrautheit mit den ältesten Urkunden, denen ich schon damals 4 Jahre lang in den europäischen Bibliotheken nachgegangen war, sogleich eine der ältesten, die es giebt, erkennen mußte. Es gelang mir leicht, die Abtretung eines Theils dieser alttestamentlichen Fragmente, die ihrem Untergange so nahe gekommen waren, zu veranlassen; die anderen umfänglichen Theile empfahl ich zu besserer Aufbewahrung, indem ich ihre Erwerbung, die zunächst nicht möglich war, späteren Schritten vorbehielt. Jenen ersteren Theil gab ich nach der Rückkehr in die Heimath, geschmückt mit dem Namen des Königs Friedrich August, des hohen Beschützers meiner Forschungen, lithographirt heraus. Da indessen meine Bemühungen um die im Kloster zurückgebliebenen Fragmente keinen Erfolg hatten, so gedachte ich sie aufs Genaueste abzuschreiben und aus der Abschrift herauszugeben, zu welchem Behuf ich eine zweite Reise, 1853, in den Orient unternahm. Bei meinem zweiten Aufenthalte im Sinaikloster wurde mir aber wahrscheinlich, daß der Schatz inzwischen bereits nach Europa gekommen sei, weshalb ich nach der Rückkehr dasjenige, was ich schon 1844 davon abgeschrieben hatte, einem größeren aus ähnlichen Funden hervorgegangenen Werke einverleibte und darin auf meinen Antheil an der Erhaltung jener anderen Ueberreste, wohin sie auch immer gekommen sein mochten, hinwies.

Nichtsdestoweniger drängte mich’s zu einer dritten orientalischen Reise, die es gelang im Auftrage der kaiserl. russischen Regierung und unter der besonderen Protection des Kaisers und der Kaiserin auszuführen. Als ich nun, wie schon oben erzählt, zum dritten Male das Katharinenkloster am Sinai besuchte, machte ich am 4. Febr., nachdem ich bereits für einen der nächsten Tage die Kamele zur Abreise bestellt hatte, mit dem Oekonomen des Klosters einen Spaziergang auf die Berge, wobei wir uns von der griechischen Uebersetzung des Alten Testaments unterhielten. Vom Spaziergang in der Abenddämmerung zurückgekehrt, sagte mir der Oekonom in seiner Zelle: „Hier habe auch ich ein Exemplar jener Uebersetzung,“ und legte es, in ein rothes Tuch eingeschlagen, vor sich auf den Tisch. Ich öffnete das Tuch und erkannte den längst gesuchten Schatz, und zwar noch auf das Ansehnlichste gegen den früheren Bestand vermehrt, da zu den Fragmenten des Alten Testaments sogar das ganze Neue Testament gekommen war.

Die lieben Freunde gestatteten mir, sofort die sämmtlichen 3451/2 Folioblätter, die keinen Einband hatten und auch sonst wenig Zusammenhalt, auf mein eigenes Zimmer zu tragen. Hier erst gab ich mich dem überwältigenden Eindruck dieser Erfahrung hin; der Herr hatte eine fast unvergleichliche Urkunde von der höchsten Bedeutung für christliche Wissenschaft und Kirche in meine Hand gelegt. Das war sogleich mir klar, daß ich nicht vom fremden Lande scheiden dürfte, ohne sie im Original oder in einer druckfertigen Abschrift nach der westlichen Heimath mitzunehmen. Zur größten Genugthuung gelang beides; denn Abschrift und Original begleiteten mich, als ich 8 Monate später Aegypten verließ.

Ohne Einzelnheiten hier wiederholen zu wollen, die unlängst in besonderer Schrift veröffentlicht wurden, füge ich nur noch einige Bemerkungen über die Handschrift selbst und über ihre Herausgabe bei. Die Handschrift enthält, außer einem großen Theile des griechischen Alten Testaments, das ganze Neue Testament nebst zwei anderen Schriften. Was giebt ihr nun einen so außerordentlichen Werth? Der Text unserer heiligen Schriften ist uns dadurch erhalten worden, daß fortwährend Abschriften auf Abschriften bis zur Erfindung des Bücherdrucks gefertigt wurden. Begreiflicher Weise müssen die ältesten dieser Abschriften die von den Aposteln geschriebenen Buchstaben genauer aufbewahrt haben als die späteren. Die Sinaitische Handschrift aber ist – nach meiner sorgfältigsten Prüfung – wohl ein Zeitgenosse jenes obengenannten ersten christlichen Kaisers; sie ist nachweisbar die älteste aller vorhandenen, und zugleich die einzige vollständige unter den wenigen von ähnlichem Alter, die wir besitzen. Sie eignet sich deshalb einzig zur bestbeglaubigten Grundlage für alle wissenschaftlichen Forschungen über den heiligen Text; es wird vermittels derselben, wo sie mit unseren üblichen Texten übereinstimmt, eine bedeutsame Bestätigung und Sicherheit für dieselben gewonnen werden; in manchen Fällen wird sie aber auch zur Berichtigung der letzteren beitragen; obschon dadurch, was gleichfalls von Wichtigkeit, kein Lehrsatz evangelischer Wahrheit beeinträchtigt wird. Außer dem Neuen Testamente, um hier von den Alttestamentlichen Büchern zu schweigen, enthält die Handschrift auch das bisher nur unvollständig oder sehr fehlerhaft bekannte, mit dem Hebräerbrief verwandte Lehrschreiben des Barnabas, das schon das zweite Jahrhundert geneigt war, zu den heiligen Büchern zu rechnen, und einen großen Theil einer ähnlichen, bis jetzt nur unsicher bekannten Schrift: beide Bestandtheile bereichern demnach wesentlich die christliche Literatur.

In gerechter Schätzung des hohen Werthes der Handschrift hat nun Kaiser Alexander II. die unverweilte Herausgabe derselben angeordnet und meinen Händen anvertraut. Sie wird demzufolge als ein wissenschaftliches Prachtwerk, das in 4 Foliobänden mit der größten Genauigkeit das Original wiedergiebt und erläutert, photographisch zu Petersburg (im kaiserl. Generalstabe), typographisch zu Leipzig (bei Giesecke und Devrient) ausgeführt, und ist bestimmt, wenn anders bis dahin die Bewältigung der großen Arbeit gelingt, in Petersburg 1862 zur Verherrlichung des tausendjährigen Reichsjubiläums ans Licht zu treten, um sodann überall, wo die christliche Welt eine Wissenschaft hat, als eine kaiserliche Gabe ihre Verbreitung zu finden.




Im hohen Hause.

Eine Geschichte von Edmund Hoefer.
(Schluß.)

„Ja,“ sprach Anna nach einer Pause und rückte vor ins Licht, ihre Wangen glühten, ihre Augen waren wieder trocken und unstät, „vorwurfsfrei, sage ich! Er liebte mich und ich ihn, das ist Alles, es gab kein Unrecht zwischen uns, nicht das leiseste, und deswegen kann ich auch mein Lebenlang an diese Zeit mit Frieden für mich und Segen für ihn denken, trotz meines unbändigen Schmerzes. Es gab nichts Unrechtes zwischen uns, aber gegen einen Andern war ein Unrecht da, wenigstens hielt es der dafür. – Es hat mir Jemand – sein Name thut noch nichts zur Sache,“ fuhr sie zögernd und doch erregt fort, „ihr werdet ihn nicht errathen, denn er ist stets der Vorsichtigste geblieben – der hat mir eine große Leidenschaft gewidmet, eine unsinnige Leidenschaft, die mich zuweilen hinriß, und bevor ich Schenk kennen lernte, habe ich wirklich zuweilen geglaubt, mein Herz spräche für jenen, es sei mehr als Mitleid mit ihm und seinem Gefühl, was sich in mir regte, was mich ihn anhören ließ, was es mir unmöglich machte, ihn von mir zu weisen. Dann aber kam Robert, und da ward mir alles klar, alles Uebrige verschwand und war vorbei, ich hatte kein Herz mehr, keinen Gedanken für etwas Anderes.

„Ich mochte ihm – dem Andern, das nicht sagen, denn er dauerte mich jetzt mehr als je, da ich’s ahnen konnte, was eine unerwiderte Liebe für ein Elend sein müsse! Ich wollte ihn schonen, ich wollt’ es ihm aus meinem Wesen merken lassen, wie es mit uns stehe; das war ja so leicht, und er hätte es mir danken sollen. Allein das that er nicht, im Gegentheil war er gegen mich, wie ich es nicht schildern, nicht benennen kann. Er hat mich furchtbar gequält, er hat getobt und gewüthet, gefleht, gedroht, geweint, mir, sich selbst, Schenk den Tod geschworen, nicht wie ein liebender und trauriger oder auch zorniger, dennoch aber vernünftiger Mensch, sondern wie ein wirklich Wahnsinniger. Und als ich zuletzt,


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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 61. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_061.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2022)