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Seite:Die Gartenlaube (1861) 058.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

sechsstündigen Fahrt im Coupé als bei viertägigem Ritte zu Kamel. Aber von Suez aus, hat man nur erst den schmalen Meeresarm in der Barke oder auch bei eingetretener Ebbe und nicht allzu ängstlichem Gemüthe zu Kamel überschritten, tritt die Wüste in ihre vollen Rechte ein, und mit ihr zugleich der Beduine und seine Kamele. Stehen einige dieser letzteren mit jeglicher Reisekost auf einige Wochen, wobei ein paar Fässer Trinkwasser nicht zu vergessen, sammt allem Küchen- und Tafelgeschirr, auch einem stattlichen Zelte ausgerüstet da, und überwacht dies alles ein zuverlässiger Reisemarschall, Dolmetsch und Koch, so läßt sich’s schon wagen, in die mit offenen, wenn auch leeren Armen harrende Wüste hineinzureiten.

Zur Rechten den tiefblauen Spiegel des rothen Meeres, begrenzt im Hintergrunde durch dunkelfarbige Bergeshöhen, zur Linken in stundenweiter Ferne ein weithin den Horizont beherrschendes weißröthliches Kalkgebirge, vor uns und hinter uns den lockeren bleichen Sand der Wüste, dessen weite Flächen nur hie und da von niedrigen Hügeln und Sträuchern unterbrochen werden, so haben wir, geschaukelt in eigener Person auf hohem Kamele, die auf sieben Tage sich ausdehnende Sinaitische Wüstenwanderung zu beginnen. Je weiter wir vorrücken, um so reicher und schöner wird unsere Landschaft. Sie wird dies nicht nur durch mannigfaltige Gruppen von Bergen, die mit ihren grotesken Felsgebilden einige Tagereisen später bis auf unseren eigenen Weg hereinragen, und zuerst aus weißlichen Lehm- und Kalkarten, dann aus röthlichem Sandgestein, endlich aus bräunlichen, nackten, schroff aufgethürmten Granitmassen bestehen, sondern auch durch die lieblichen Oasen, die mit ihren Tamariskenwäldchen, mit ihren Palmenhainen, belebt sogar durch einzelne Sänger, mitten in dieser Oede und Wildniß zauberhaft hervortreten, und von keinem Wanderer, von keiner Karawane ungenossen bleiben. Ich gedenke beispielsweise des Feiranthales, das von mehreren Beduinenfamilien in Lehmhütten, überdeckt mit Flechtwerk oder Palmenzweigen, bewohnt wird. Es darf die Perle der Sinaitischen Wüste genannt werden. Haben wir hier das kleine Zelt bei dem rauschenden Wasserbächlein, dem einzigen der ganzen Wüste, unter dem Schatten der Palmen aufgeschlagen, und ergehen uns, während der Koch Huhn und Reis zurecht macht, im Thale, das mit einem fast eine Stunde langen Walde von hohen, prächtigen Dattelpalmen prangt und nach drei Seiten von majestätisch empor ragenden Granitwänden wie von ewigen Mauern umgürtet ist, so wird Aug’ und Herz um eine unvergeßliche Stunde reicher.

Was diesen Genuß einer großartigen Natur noch wesentlich erhöht, das sind die großen Erinnerungen dieser Wüste, die bis in die dunklen Fernen heiliger Vorzeit zurückreichen. Ich meine vor allen anderen die Erinnerungen an Israels Wanderungen unter Moses, dem unerschrockenen Manne Gottes. Nicht leicht möchte sich einer anderen Begebenheit des grauen Alterthums noch heute so genau, fast Schritt für Schritt, nachgehen lassen, wie dem Zuge Israels nach dem Sinai, der viertehalbtausend Jahre hinter uns liegt. Da kommen wir von den sogenannten Mosisquellen, unweit vom Meeresufer, wo immerhin das aus den Fluthen und aus der Feinde Hand errettete Volk sein begeistertes Danklied angestimmt und sich mit einem Labetrank versehen haben mag, zu dem mit Murren empfangenen salzigen Bitterwasser, bald darauf aber auch zu dem lieblichen Elim, das mit seinen „zwölf Quellen und siebzig Palmenbäumen“ den Schmachtenden so fröhliche Erquickung geboten. Im weitern Verlaufe gelangen wir auch auf den Schauplatz der Kämpfe mit den Amalekitern, die längst vor Moses die süße Dattel des Feiranthales genossen haben mögen, sowie dahin, wo das Mannawunder geschah. Daß sich noch heute im Scheichthale, eine Tagereise vor dem Sinai, und zwar hier allein, ein eigenthümliches, Manna benanntes und mit seinem Honiggeschmack so sehr an die Mosaische Beschreibung erinnerndes Erzeugniß vorfindet, das ist von besonderer Merkwürdigkeit; was sich auch immer gegen die nähere Zusammenstellung beider sagen lassen mag, so bleibt doch dieses Tamariskenmanna ein theueres Erinnerungszeichen an die gerade an dieser Stätte genossene wunderbare Himmelsgabe.

Doch wir eilen von all den Erinnerungsstätten des israelitischen Wüstenwegs unserm Ziele zu, das uns gleichfalls mit Moses und Israel wieder zusammenführt. Nachdem wir der Berge und Thäler manche und zuletzt einen über zwei Stunden langen steilen Felsenpaß, auf dem das Kamel die Sicherheit seines Tritts zu erproben hat, glücklich überschritten haben, da öffnet sich vor uns eine weite ebene Sandfläche, an deren Enden jene majestätischen Granitberge hinein in’s Blau des Himmels ragen, auf denen noch heute, alten Ueberlieferungen getreu, Jude, Christ und Muhammedaner das Gedächtniß der Mosaischen Gesetzgebung feiern. Es ist schon hiermit angedeutet, daß der Sinai kein vereinzelter, frei aus der Ebene aufsteigender Berg ist, etwa wie der Thabor in der Ebene Esdrelon nahe bei Nazareth; er gehört vielmehr zu einer Gruppe granitner Berge, die einstmals gemeinsam den Namen Sinai getragen haben mögen. Zwischen einzelnen dieser mehrere tausend Fuß hohen Felsen ziehen sich bald engere, bald weitere, zum Theil durch einige Vegetation ausgezeichnete Thäler hin. In einem derselben, das den Namen Wadi Schueib trägt und von geringer Breite ist, liegt das Sinaikloster. Es liegt bereits zwischen 3 und 4,000 Fuß über dem Meeresspiegel, aber noch mehr als 2,500 Fuß unter den höchsten Spitzen des Sinaitischen Gebirgs, die sich gleich hinter ihm, im Westen, erheben und zwar so, daß der westliche Theil des Klosters schon auf erhöhtem Boden steht. Daß der eigentliche Mosisberg, d. h. derjenige Gipfel, auf welchem Moses bei der Scene der Gesetzesoffenbarung seinen Standpnnkt gehabt haben soll, vom Kloster aus nicht gesehen wird, und ebenso wenig von diesem Gipfel aus das Kloster: das ist ein Zeugniß gegen die Vermuthung, daß Mönchswillkür gerade diesen Gipfel verherrlicht haben möchte.

Das Ersteigen des Berges ist seit Kurzem bequemer geworden, als es früher war. Abbas Pascha, der Vorgänger des gegenwärtigen Vicekönigs von Aegypten, hatte nämlich in seiner schwärmerischen Vorliebe für die Wüste den kühnen Plan gefaßt, auf einem der Nachbarfelsen vom Mosisberge ein Sommerschloß anzulegen. Dazu ließ er einen Weg bauen, den ein Zweispänner befahren könnte. Gegen 2000 Fuß hoch dient nun dieser Weg zugleich den Wallfahrten zum Mosisgipfel. Uebrigens blieb der Schloßbau unvollendet; eine Vision schreckte den Vicekönig, als er einst von dem heiligen Berge herabfuhr, davon ab; den Bau aber, den er darauf unten, neben dem Kloster beginnen ließ, vereitelte der an ihm verübte Meuchelmord. Mehrere aus den vergangenen Jahrhunderten ehrwürdig gewordene Haltepunkte des früheren durch eine enge Schlucht steil aufwärts führenden Wegs sind durch diese Aenderung dem Gesichtskreise entrückt worden. Haben wir aber jene Höhe von fast 2000 Fuß über dem Kloster erreicht, so gelangen wir, gleichwie auch von dem früheren Wege aus, auf eine Bergebene, die durch grüne Strecken mit reichlichem Quellwasser und einer schlanken Cypresse, dem einzigen Baume des Sinai’s, eine überaus freundliche Oase in dieser hohen Felsenregion bildet. Von hier aus laufen, wie von einer gemeinschaftlichen Wurzel, gegen 1000 Fuß hoch die beiden Gipfel des Sinaitischen Gebirgs auf, von denen der nördliche als Horeb, der südliche als Dschebel Musa oder Mosisberg benannt zu werden pflegt; beide thürmen sich als nackte Granitmassen auf, röthlich und schwärzlich gesprenkelt auf hellgrauem Grunde.

Indem wir nach Süden weiter steigen, treffen wir nach etwa 15 Minuten von der Cypresse aus auf zwei niedrige Felskapellen, geweiht dem Andenken der Propheten Elias und Elisa, die vor 3000 Jahren hier eine Zufluchtsstätte gefunden. Eine halbe Stunde später haben wir die Höhe erreicht. Was hier den ringsum schweifenden Blick umgiebt, das wird kaum Seinesgleichen auf Erden haben. Es ist die erhabenste Felsenwildniß; viele Meilen weit und fast nach allen Seiten starren uns vielzerklüftete, wildgezackte Granitberge entgegen, ohne alle Vegetation, ohne jegliche Lebensspur. Es ist ein Bild voll Schroffheit und zugleich voll Hoheit; ein Bild voll erschütternden Ernstes. Hier also hat der Herr unter Donner und Blitz sein Gesetz verkündigt; es ist als ob das unerbittliche: „Du sollst“ und „Du sollst nicht“ noch immer in diese Felsen mit eisernem Griffel eingegraben wäre.

Man hat auf dem Sinaigipfel zwei Kapellen errichtet, eine christliche und eine muhammedanische, von denen wenigstens noch Ruinen stehen. Aber die Andacht bedarf hier dieser Hülfe kaum; der Berg selbst erscheint wie ein Altar, zu einem unvergänglichen Merkzeichen vom Finger des Ewigen aufgerichtet. – Nach Westen sah ich bei heiterem Himmel über alle die Felsmassen hinweg bis in die ferne weißlich schimmernde Sandebene, die gegen Suez ausläuft, während im Osten das Blau des Meerbusens von Akaba hervorglänzte. Der noch höhere Katharinenberg begrenzt den Blick nach Süden; aber von Süd nach Südost umgiebt unseren Gipfel

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_058.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)