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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)


ziemlich ernst in diesem Sinne gegen Huber aus, als das Mädchen heftig mit der Bitte der eben zurückgekehrten Hausfrau hereintrat – der Gatte möge doch sogleich herunterkommen, die Professorin sei da und begehre auch ihn zu sprechen.

„Hast Du denn nicht gesagt, daß der Herr Hauptmann bei mir sei?“ fragte Huber verdrießlich, und da man aus ihrer Verlegenheit das Gegentheil annehmen durfte, setzte er hinzu: „so geh’ und sag’s. Ich habe den Herrn Hauptmann zum Thee mitgebracht, und wir hätten jetzt noch zu reden.“

„Weßhalb lassen Sie mich nicht geh’n?“ sagte ich, als das Mädchen hinaus war. „Wir sind zu gut bekannt, meine ich, um in solchem Fall Umstände zu machen oder gar empfindlich zu werden.“

„Bleiben Sie, bleiben Sie!“ versetzte er lebhaft. „Sie erweisen meiner Frau und mir noch einen ganz besonderen Gefallen, denn wir lieben Beide die Dame keineswegs und haben mehr als einmal zu erfahren gehabt, was es mit diesen sogenannten dringenden und geheimen Mittheilungen auf sich hat, die Einen zuerst alarmiren und sich nachher oft als ganz unnöthig erweisen. Und wär’ es heut auch mehr, so soll sie’s meiner Frau allein sagen oder –“

„Da trat das Mädchen schon wieder ebenso eilfertig mit der Botschaft ein, die Damen ließen mich ersuchen ja mitzukommen, man habe auch mit mir zu reden. Huber legte lächelnd die Hand auf meine Schulter und bemerkte: „Hauptmann, Hauptmann, was ist mir das? Sie sind am Ende auch ein heimlicher Kenner und Verehrer der zaubernden Hexe? – Aber Scherz bei Seite,“ fügte er hinzu, „da Sie sie noch nicht persönlich kennen, werden Sie – wenn Anna will – immerhin ein paar interessante Stunden verleben. Sie ist, wenn sie in ihrer rechten, vollen Laune, unvergleichlich, – und im Ernst, nehmen Sie sich in Acht!“ – Wir waren drunten und traten in das Wohnzimmer.

„Frau Huber kam uns entgegen und begrüßte uns in einer halb scheuen, halb verlegenen Weise, die ich noch gar nicht an ihr kannte. Ihre Blicke schweiften unruhig in’s Zimmer zurück, wo sich vorn ein Stuhl zeigte, auf dem ein prachtvoller Shawl und ein sehr zierlicher weißer Hut sichtbar hastig hingeworfen lagen, und im Hintergrunde, in der Sophaecke eine Dame mehr lag als saß. Das Theegeschirr stand bereits auf dem Tisch, die Lampe brannte schon und beleuchtete die Ruhende, die aber jetzt, nachdem wir eingetreten, aufsprang, uns entgegenkam, mir kurz zunickte, Huber die Hand bot, – alles das schnell, fieberhaft bewegt. Und fieberhaft zeigte sich auch ihr Gesicht, es war geröthet und die Augen brannten, sage ich euch. Es sah fast so aus, als habe sie auch geweint. Und Alles in Allem – das Weib war in diesem Moment so wunderbar – laßt mich sagen: dämonisch schön, daß ich in meinem Herzen Schenk, wenn er sie wirklich geliebt, auf das Vollständigste absolviren mußte. Der widersteht niemand! sagte ich mir, und all die Geschichten, die ich gehört, wie dieser oder jener sie mehr als menschlich geliebt haben sollte und schier thöricht geworden sei vor Liebe zu ihr – ich verstand sie in diesem Augenblick und zweifelte an nichts.

„Grüß Gott, Anna,“ sagte Huber – er betrachtete sie aufmerksam, aber ihr glänzend blaues Auge wich ihm unstät aus – „Sie sind schnell wieder zurück und – nicht wohl, wie es scheint?“

„Ah bah – ich!“ versetzte sie ungeduldig; sie zog ihre Hand zurück, sie wandte sich ab. „Ich bitte Dich, Julie, mache den Thee, und dann lasse uns Ruhe haben – nicht gestört werden, von niemand! Ich muß aber zuerst etwas Thee haben – ich konnte seit gestern Morgen nichts mehr genießen und bin ganz elend. – Ich kannte Sie bisher nicht, Hauptmann,“ fuhr sie wieder zu mir herum, „aber ich hörte oft von Ihnen; Sie sind ein Mann von Ehre und daher und auch sonst mir als Zuhörer willkommen. Ich habe Ihnen viel zu sagen, Huber.“ Und als das alles vorüber geschossen war, viel schneller, als ich es nachreden kann, saß sie schon wieder in der Sophaecke, zusammengeschmiegt wie ein Kätzchen, das Haupt auf die Tasse in ihrer Hand gebeugt. Ich vergesse diesen Anblick im Leben nicht, wie das Lampenlicht von den blonden Locken zurückglänzte, die sie nach damaliger Mode zu beiden Seiten der Stirn in großer Zahl neben einander aufgewickelt trug und die ihr – ausnahmsweise – wundervoll standen.

„Wir setzten uns, Huber kopfschüttelnd, gleichfalls und nahmen unsere Tassen. Frau Huber fragte etwas, und ich antwortete, aber beides war ganz kurz, und dann blieben wir still. Es war, als hätten wir gewußt, daß wir etwas gar Bedeutendes und Wichtiges hören würden. Und es ließ auch nicht lange auf sich warten, denn jetzt setzte Anna ihre Tasse hin, zog sich ganz in die Ecke zurück, wo ihr Gesicht vollkommen beschattet war, und schob mit der Hand auf beiden Seiten die Locken leicht von der Stirn.

„Ich habe gestern Morgen in der Zeitung die Nachricht gefunden, daß Schenk ermordet sei,“ fing sie plötzlich an. „Da ließ es mich nicht, ich bin gleich in die Post gestiegen und hergeeilt – ich mußte, denn ich weiß was davon, viel sogar, vielleicht Alles. Ich hätte ihn so gern noch einmal gesehn, aber als ich eben in meiner Stube stand, führte ihn der Leichenwagen schon an mir vorüber, und es war nun Alles vorbei.“ Die Thränen stürzten ihr aus den Augen.

„Anna!“ stammelte Frau Huber entsetzt. Der Rath warf mir einen raschen Blick zu – er war sehr blaß. Von mir weiß ich nichts Anderes zu sagen als: ich war wie betäubt und athemlos.

„Sie fuhr mit dem Tuch über die Augen. – „Ueber Nacht, bei der schrecklichen, langen, einsamen Fahrt“, redete sie von neuem, „dachte ich mir: schweige lieber. Man spricht schon genug von Dir, was willst Du Dich nun in diese fürchterliche Geschichte mischen! Und überdies – was weißt Du? Du irrst Dich vielleicht und richtest nur neues Unglück an. Aber als ich vorhin den Wagen sah und den Sarg, und es wußte: Du siehst ihn nie wieder, man hat ihn dir aus der Welt so feig, so schändlich gestohlen! – da ging’s mir wie ein Krampf durch’s Herz. Ich kann und will nicht schonen, nicht schweigen. Vor das Gericht geh’ ich nicht, lieber in den Tod. Aber zu euch red’ ich. Ihr kanntet Schenk, ihr kennt mich und – Andere. Und Sie, Huber, Sie, Hauptmann, können am besten entscheiden, ob mein Wissen Wahrheit oder Thorheit, ob Sie’s benützen dürfen, und wie Sie’s benützen wollen. Grade der Hauptmann ist mir lieb als Zeuge, er war ja Roberts bester Freund und wird mit seinem ruhigen Menschenverstande den Juristen in Ihnen, Huber, zurückzuhalten wissen.“

„Sie schmiegte sich noch fester in die Ecke und redete erst nach einer Weile weiter. „Ich kann und muß mich kurz fassen,“ sagte sie. „Seit dem vergangenen Sommer bin ich mit Schenk bekannt geworden, im September hat er mich zuerst besucht und ist dann bald häufiger gekommen, endlich täglich. Ich schäme mich nicht zu sagen, daß ich ihn mehr geliebt, höher geachtet als je einen andern Menschen, daß ich mich niemals einem andern Wesen so Unterthan gefühlt habe, daß ich glücklich und stolz war, stolz bin, weil er mich geliebt – ja, er hat mich geliebt mit seinem ganzen reichen Herzen, und es hat mir das gezeigt, daß ich doch nicht das schlechte, leichtsinnige Geschöpf bin, für das ihr mich verschreiet. Was daraus geworden wäre, weiß ich nicht. Wir haben nicht viel an die Zukunft gedacht. Aber ich weiß, daß ich ihm in nichts widerstanden, daß ich, wenn er’s gewollt, auch seine Frau geworden wäre, obgleich ich – ihr wißt das wohl – wahrhaftig keinen Grund habe, die Ehe zu rühmen und mich wieder hinein zu wünschen. Genug, wir haben noch nicht an die Zukunft gedacht, wiederhole ich. Wir haben die Gegenwart gehabt und sind zufrieden gewesen, und mir war oft, als könne ich ohne ihn nicht mehr leben. Nun soll es doch gehn, aber – ich glaub’s nicht.“ Und wieder brachen ihre Augen und ihre Stimme in Thränen, und für eine ganze Weile wurde nichts von ihr laut, als nur einmal die vor Schluchzen kaum verständlichen Worte: „Ihr wißt eben nicht, was er mir war, und ihr wißt auch nicht, was es heißt, da entsagen zu müssen und Alles zu verlieren, wo man wirklich heiß und voll, wirklich vorwurfsfrei geliebt und gelebt.“

(Schluß folgt.)


Blätter und Blüthen.

Pariser Bilder und Geschichten. I. Es war im Monat September des Jahres 1848, als ein gewöhnlicher Miethwagen vor dem Hôtel du Rhin, place Vendome hielt. Aus demselben stieg ein Mann von blassem Angesicht, der die Vierzig überschritten haben mochte und der sich von dem Havre-Bahnhofe nach dem gedachten Hôtel hatte bringen lassen. Sein Anzug war in gutem Stand, wenn auch nicht elegant, und sein Gepäck bestand aus zwei Nachtsäcken von nicht allzu großem Umfang. Er verlangte von dem dienstthuenden Kellner „eine“ Stube. Dieser, ein Deutscher, Namens Georg, wies dem Gaste ein Gemach im fünften Stockwerk an, weil entweder die anderen Zimmer alle besetzt waren oder weil er den Preis der Wohnung mit den Mitteln des Ankömmlings in Einklang zu bringen suchte, wie sie sich aus dem ganzen Auftreten desselben ungefähr ergaben.

Wenn die römische Bestimmung, daß schweigen soviel wie einwilligen bedeutet, als eine gültige anzunehmen ist, dann war der Fremde mit der


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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_047.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)