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Seite:Die Gartenlaube (1861) 040.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

dem Toast begrüßt: „Dem Denker, dem Prediger, insonderheit dem Menschen“; woran sich ein von einem dänischen Theologen gedichtetes Lied schloß, dessen Schlußvers lautete:

Gegrüßt uns am dänischen Sunde,
Der Ritter aus edlem Geschlecht!
Willkommen im nordischen Bunde
Für Glauben, Wahrheit und Recht!
Hoch lebe der herrliche Meister
Der freundlich zu uns sich gesellt;
Es blüh’ die Gemeinschaft der Geister
Von hier bis ans Ende der Welt. –

So genoß Schleiermacher die Früchte eines reichen Lebens, freilich getrübt durch den Verlust seines einzigen Sohnes, durch den Verdruß über die immermehr um sich greifende Reaction, der seine besten Freunde, wie der ihm nah’ verwandte Arndt, zum Opfer fielen, gestört durch vielfache körperliche Leiden, denen er endlich am 12. Februar 1834 erlag. Sein Tod war der eines Weisen, eines Christen und legte das herrlichste Zeugniß für sein tiefes religiöses Gefühl, für die Treue seines oft angegriffenen Glaubens ab, weshalb seine Sterbestunde besonders hervorgehoben zu werden verdient. – Ueber die letzten Augenblicke hat seine Wittwe, die ihn um sechs Jahre überlebte, für die näheren Freunde des verewigten folgende denkwürdige Aufzeichnung hinterlassen:

„Schon seit zwölf Tagen litt der geliebte Schleiermacher an großer Heiserkeit und Husten, sah freilich heiter und klar, aber sehr blaß aus. So sehr wir uns beunruhigten und ihn baten, mehr Rücksicht auf seine Gesundheit zu nehmen, so wies er doch Alles mit der Versicherung zurück, daß er sich vollkommen wohl fühle, daß dies nur äußere Leiden seien, die auf sein inneres Befinden gar keinen Einfluß hätten.

Am Donnerstag den sechsten war der letzte Abend, der flott und heiter im Familienkreise verlebt wurde. In der Nacht zum Freitag begann die Krankheit durch einen fürchterlichen Anfall von Schmerzen im ganzen Körper. Sein Aussehen war wie eines Sterbenden, und er sprach sehr bestimmt seine Todesahnung aus.

Ich hatte sogleich nach dem Arzt geschickt, der den Zustand sehr gefährlich fand, durch dessen Hülfe jedoch dieser Zustand in wenig Stunden beseitigt war und er ruhig und schmerzlos in seinem Bette lag.

Am Sonntag war eine Consultation von vier Aerzten. Ich kam nicht von seinem Bette. Die im anstoßenden Zimmer auf meinen Wink wartenden Kinder und Freunde besorgten Alles, zur persönlichen Pflege war ich hinreichend und die höchste Stille mir geboten. Ich habe sie so gewissenhaft gehalten, daß ich ihn zu keinem einzigen theuern Wort veranlaßt habe.

Er versicherte oft, er leide nicht so viel, als es wohl scheine. Seine Stimmung war während der ganzen Krankheit klare, milde Ruhe, pünktlicher Gehorsam gegen jede Anordnung, nie ein Laut der Klage oder Unzufriedenheit, immer gleich freundlich und geduldig, wenn auch ernst und nach innen gezogen.

Einmal rief er mich an sein Bett und sagte: „Ich bin doch eigentlich in einem Zustande, der zwischen Bewußtsein und Bewußtlosigkeit schwankt (er hatte nämlich Opium bekommen, das ihn viel schlummern machte), aber in meinem Innern verlebe ich die göttlichsten Momente – ich muß die tiefsten spekulativen Gedanken denken, und die sind mir völlig eins mit den innigsten religiösen Empfindungen.“ – Einmal hob er die Hand auf und sagte sehr feierlich: „Hier zünde eine Opferflamme an.“ Ein anderes Mal: „Den Kindern hinlerlasse ich den Johannischen Spruch: Liebet Euch untereinander.“ Wieder ein anderes Mal: „Die guten Kinder, welch’ ein Segen Gottes sind sie uns!“ Ferner: „Ich trage Dir auf, alle meine Freunde zu grüßen und ihnen zu sagen, wie innig lieb ich sie gehabt habe.“ – „Wie freue ich mich auf die schönen Tage der silbernen Hochzeit, Hildchens (seiner Tochter) Hochzeit – ich durchlebe sie jetzt schon ganz.“ – „Ich wäre so gern noch bei Dir und den Kindern geblieben.“ – Und als ich meine Hoffnung aussprach: „Täusche Dich nicht, liebes Herz (mit der höchsten Innigkeit), es ist noch viel Schweres zu überstehen.“ – Auch verlangte er die Kinder zu sehen, doch als ich ihn bat, ja alles Bewegende zu vermeiden, stand er gleich davon ab und war damit zufrieden, daß jedes nur einmal in das Zimmer kommen sollte, etwas zu bringen. Er fragte einige Male, wer im Nebenzimmer sei, und als ich ihm die lieben Freunde nannte und sagte: „Sie sind mit den Kindern im stillen Gebet vereinigt,“ schien er sich daran zu freuen.

Am letzten Morgen stieg sein Leiden sichtbar. Er klagte über heftigen inneren Brand, und der erste und letzte Klagelaut drang aus seiner Brust: „Ach, Herr, ich leide viel.“ Die vollen Todeszüge stellten sich ein, das Auge war gebrochen, sein Todeskampf gekämpft. Da legte er die beiden Vorderfinger an das linke Auge, wie er that, wenn er tief nachdachte, und fing an zu sprechen: „Ich habe nie am todten Buchstaben gehangen, und wir haben den Versöhnungstod Jesu Christi, seinen Leib und sein Blut. Ich habe aber immer geglaubt und glaube auch jetzt noch, daß der Herr Jesus das Abendmahl in Wasser und Wein gegeben hat.“

Diese Aeußerung bezog sich darauf, daß ihm Wein ausdrücklich verboten war und bei den Juden wurde bekanntlich, wie im ganzen Alterthum, der Wein nur vermischt mit Wasser genossen. Während dessen hatte er sich aufgerichtet, seine Züge fingen sich an zu beleben, seine Stimme war rein und stark. Er fragte mit priesterlicher Feierlichkeit: „Seid Ihr auch eins mit mir in diesem Glauben, daß der Herr Jesus auch das Wasser in dem Wein gesegnet hat?“ worauf wir ein lautes Ja antworteten. „So lasset uns das Abendmahl nehmen, Euch den Wein und mir das Wasser,“ sagte er feierlich, „es stoße sich keiner an der Form.“ Nachdem das Nöthige herbeigeholt war, während wir in feierlicher Stille mit ihm gewartet hatten, fing er an, mit verklärten Zügen und Augen, in denen ein wunderbarer Glanz, ja eine höhere Liebesgluth, mit der er uns anblickte, zurückgekehrt war, einige betende, einleitende Worte zu der feierlichen Handlung zu sprechen. Darauf gab er zuerst mir, dann jedem Anwesenden und zuletzt sich selbst das Brod, indem er bei jedem die Einsetzungsworte laut sprach: „Nehmet hin und esset,“ ja so laut sprach er, daß alle Kinder, die horchend an der Thür des Nebenzimmers knieten, es deutlich hörten.

Ebenso reichte er den Wein mit den vollständig ausgesprochenen Einsetzungsworten, und zuletzt, nachdem er auch sich selbst wieder die Einsetzungsworte geredet hatte, das Wasser; dann: „auf diesen Worten der Schrift beharre ich, sie sind das Fundament meines Glaubens.“ Nachdem er den Segen gesprochen, wandten sich seine Augen noch einmal voll Liebe zu mir – dann: „in dieser Liebe und Gemeinschaft bleiben wir eins.“ Er legte sich auf das Kissen zurück. Noch ruhte die Verklärung auf ihm. Nach einigen Minuten sagte er: „Nun kann ich auch nicht mehr hier aushalten,“ und dann: „gebt mir eine andere Lage!“ Wir legten ihn auf die andere Seite. Er athmete einige Mal auf; das Leben stand still. Unterdeß waren alle Kinder hereingetreten und umgaben knieend das Bett. Sein Auge schloß sich allmählich. – – Wle schwach reicht jetzt selbst die Erinnerung an die Wirklichkeit dieser ungeheueren Augenblicke!“ –

So lebte, wirkte und starb Schleiermacher; er ruht in Berlin auf dem Kirchhofe der Dreifaltigkeitsgemeinde vor dem Hallischen Thore. Ein sinniger Grabstein mit seinem überaus ähnlichen Brustbilde bezeichnet die letzte Stätte des Mannes, der den Geist des Christenthums, Liebe und Duldung, Freiheit und Fortschritt, wie Wenige, erkannt und durch Wort und That gefördert hatte.




Der Newgate-Fleischmarkt in London.

Die Märkte in London! Lebensquellen für 3 Millionen Menschen, die alle mehr „nach der Nahrung“ sind, als die mit Hunger und Appetit gesegneten Sterblichen anderer Nationen – das will etwas sagen. Nachtmärkte mit den Blumen-, Frucht- und Gemüsemarkt haben wir schon früher geschildert, und auch der neue Viehmarkt ist den Lesern mit Wort und Bild in einem frühern Jahrgange gezeigt worden.

Gehen wir weiter auf diesem Gebiete, in den Mittelpunkt des alten Londons, auf classischen Boden, den höchsten Hügel der Hunderthügelstadt, bis wir dicht vor der Paulskirche auf der Nordseite stehen, wo’s immer „zieht“ und der Wind immer um den ungeheuern Koloß herum läuft. Der Kirche gegenüber im Norden, dicht dabei, läuft die Reihe classischer Putzläden, wo man Hüte und Hauben, 150 Arten von Mänteln und Mantillen, Bänder

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_040.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)