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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

diese allein hin, ihn zu verderben. Dieser Punkt betraf eine Gewaltthat Trenck’s wider eine Müllerstochter in Böhmen. So war denn das Ende des ganzen Verfahrens wider ihn – ein Todesurtheil, welches Maria Theresia in lebenslängliche Haft auf dem Spielberge verwandelte! Das Vermögen des Obersten blieb dabei sequestirt, jedoch so, daß er eine gewisse Verfügung darüber behielt und daß seine Beamten ihm ihre Rechnungen zur Genehmigung vorlegen mußten.

Ein Gefangener, wie der Freiherr von der Trenck, dem man obendrein noch Rücksichten schuldig war, dem um seiner früheren Verdienste um Oesterreich willen eine gewisse Freiheit der Bewegung gestattet werden mußte, war jedoch nicht eben leicht zu hüten. Es war eine Aufgabe, welche einen energischen und umsichtigen Geist erforderte, einen Mann von außergewöhnlichen Fähigkeiten; und so überrascht es uns nicht, wenn wir in dem Augenblick, in welchem wir selbst, dem Pandurenoberst folgend, den Spielberg, das feste Schloß bei Brünn, dem die neuere Geschichte eine so traurige Berühmtheit gegeben hat, betreten – wenn wir zu dieser Zeit als Commandanten da oben einen der tüchtigsten österreichischen Officiere finden – den Oberstwachtmeister von Frohn.

Es ist ein schweres, trauriges, mit einer schmerzlichen Pflichterfüllung verknüpftes Amt, was unsrem Freunde geworden. Auch hat er in dem Augenblick, wo ihm die Ordre zugekommen, es zu übernehmen, zornig das Papier fortgeschleudert, das ihn zu einer Art Kerkermeister machte, und lieber seinen Abschied zu verlangen beschlossen. Dann aber hat er sich gesagt:

„Du bist Deiner Kaiserin Kriegsknecht und hast zu gehorchen, wohin sie Dich sendet.“

Er hat gehorcht. Er hat seine Gewalt dazu angewendet, Unmenschlichkeiten zu verhindern, Elend zu lindern und Schmerzen zu stillen. Der neue Commandant des Spielbergs wird gesegnet in manchem stillen Gebet, das nächtlich aus der Zelle eines kranken Gefangenen zum Himmel aufsteigt; die Besatzung, die Kerkerwärter hängen an ihm, und die schlimmsten und unbändigsten der Eingekerkerten, welche früher nur eine grausame Zucht zähmen konnte, beugen sich jetzt ohne harte Gewalt, weil ihnen der hochgewachsene, willensstarke und kluge Mann mit einem menschlich fühlenden Herzen in der Brust Scheu und Respect einflößt.

Und so hat Frohn seinen Posten nach und nach erträglich gefunden, und eine innere Befriedigung ist bei der Verwaltung desselben über ihn gekommen, und zuletzt ist das große traurige Schloß bei Brünn ihm ein Aufenthalt geworden, den er nicht vertauschen würde mit irgend einem andern in der Welt – das letztere freilich aus einem Grunde besonderer Art, den wir uns zu erklären anschicken.


2.


Der Spielberg bei Brünn ist eine mit Festungswerken gekrönte schroffe Felshöhe, zu der ein Weg von der Stadt her sich hinaufkrümmt, um durch starke Festungsthore in einen von Gebäuden rings umschlossenen inneren Hof zu führen. Die Gebäude sind von verschiedener Höhe, und für verschiedene Zwecke hergerichtet; ein mehrstöckiger Bau, welcher aus zwei rechtwinkelig zusammenstoßenden Flügeln besteht und sich rechts erhebt, enthält die Wohnungen für die Staatsgefangenen, zumeist helle, geräumige und sehr anständig hergerichtete Gemächer. Dem Eingang in den Hof gegenüber und links erheben sich andere für die Strafgefangenen oder für die Casernirung der Besatzung bestimmte Gebäude; auch in den Kasematten sind Räume für schwere Verbrecher angebracht.

In dem zuerst erwähnten Flügelbau, welcher die südöstliche Ecke des Hofes bildet, befand sich zu den Zeiten Maria Theresias auch die Wohnung des Commandanten der Citadelle von Brünn. Sie lag in dem nach dem Eingang in den Hof und nach der Hauptwache hin sich erstreckenden Flügel; wenn man sie vom Hofe aus betrat, gelangte man in eine Flur, aus welcher eine Treppe rechts in die Zimmer des Commandaten führte, während links ein schmaler Gang mit dem andern Flügel, in welchem die Staatsgefangenen untergebracht waren, eine Verbindung bildete, die auf einen breiten Corridor mündete, welcher durch den ersten Stock des Gefangenengebäudes lief.

Der Oberst von der Trenck bewohnte in diesem letzteren, in dem Staatsgefangenenflügel, drei große freundliche Zimmer, welche am Ende jenes Corridors lagen. Die Zimmer selbst waren ganz nach den Wünschen Trenck’s eingerichtet; man hatte ihm völlig freie Hand gelassen, sich mit allen Bequemlichkeiten zu umgeben, welche er verlangt hatte; es war ihm auch nicht verwehrt, Besuche zu empfangen, nachdem sie vorher dem Commandanten gemeldet worden – er hatte seinen Kammerdiener bei sich, und gewiß hätte man ihm auch Wagen und Pferde zur Disposition gestellt, wenn es ihm Vergnügen gemacht hätte, auf dem engen inneren Hof der Citatelle spazieren zu fahren, denn über diesen Hof hinaus durfte er sich nicht bewegen, und auch auf demselben sich zu ergehen, war ihm nur in bestimmten Stunden vergönnt.

Für einen Mann, wie den Obersten Trenck, einen kühnen und von rastlosem Thatendurst von Abenteuer zu Abenteuer geführten Soldaten, der gewiß zwei Drittheile seines Lebens im Felde unter freiem Himmel zugebracht, der die Hälfte der Länder Europa’s im Sattel, an der Spitze halbwilder Banden, durchschweift hatte – von den Steppen der Ukraine bis zu den Höhen des Wasgaus und tief in Lothringen hinein, von den Thälern Savoyens und Bosniens bis nach Sachsen und den Marken – für einen Mann solcher Art mußte die erzwungene Unthätigkeit, die Gefangenschaft etwas unerträglich Drückendes sein, trotz Allem, was geschehen konnte, sie zu mildern und ihren starren, eisernen, von der Hand der alten „dira neccessitas“ ausgemeißelten Zügen die Maske der Freiheit vorzuhängen. Auch hatten diejenigen, welche darauf angewiesen waren, täglich mit ihm zu verkehren, sich keinesweges einer Zunahme guter Laune und versöhnlicher Stimmung bei ihm zu berühmen, in dem Maße, wie Monat nach Monat seiner Gefangenschaft dahin schwand. Im Gegentheil, er wurde gereizter, zorniger und unnahbarer, und der Commandant sah mit geheimer Sorge die Zeit nahen, wo er in Conflicte mit ihm gerathen mußte, welche ihn zur Anwendung von Gewalt gegen den unbezähmbar stolzen, heroischen und gewaltthätigen Gefangenen zwingen mußten.

Diese Stimmung des Pandurenobersten erlitt jedoch unverhoffter Weise eine plötzliche Aenderung, einen auffallenden Wechsel, den nichts Anderes hervorbrachte, als etwas, was bisher im Leben Trenck’s am allerwenigsten Einfluß übend und mildernd eine Rolle gespielt hatte. –

Der Oberstwachtmeister von Frohn saß eines Tages in seinem Wohnzimmer am Fenster; während er aus seiner Meerschaumpfeife dichte, blaue Rauchwolken zum geöffneten Fenster hinausblies, überflog sein Auge wachsam den Hof der Citadelle, auf dem die Schildwachen auf und niederschritten, Strafgefangene arbeiteten und eine kleine Truppe von ungarischen Grenadieren um eine Trommel kauerte, auf welcher Würfel hin und herrollten. Frohn hatte eine Weile so gesessen, als er zu seiner nicht angenehmen Ueberraschung eine mit vier von der Bergfahrt erschöpften und schweißbedeckten Pferden bespannte Reisekalesche in den Hof rollen sah, die unten vor dem Eingang in die Commandantenwohnung hielt. Frohn mußte annehmen, daß ihm sein Wächteramt durch eine neue Sorge für einen vornehmen Staatsgefangenen – ein anderer wäre den steilen Bergweg in die Citadelle nicht so bequem hinausgeschafft worden – erschwert werden solle. Aber aus dem innern der Kalesche entwickelte sich keineswegs zunächst eine bewaffnete militärische Escorte, sondern ein Frauenschuh wurde sichtbar, als der Schlag geöffnet worden, ein weibliches Wesen, das wie eine Zofe aussah, schlüpfte aus dem Wagen, ließ sich ins Haus führen, und gleich darauf meldete eine Ordonnanz bei dem Oberstwachtmeister die Baronesse Mirzelska aus Agram an, welche den Herrn Commandanten zu sprechen wünsche.

Der Oberstwachmeister von Frobn sprach seine Bereitwilligkeit aus, die Baronesse zu empfangen; er sah aus seinem Fenster, wie diese Meldung durch die Zofe zum Wagen zurückgebracht wurde, und erblickte nun eine verschleierte, in schwarze Seide gekleidete Frauengestalt, die aus dem Wagen stieg und unten im Portal verschwand. Wenige Augenblicke nachher öffnete sich die Thür seines Wohnzimmers, und die Baronesse trat ein.

Frohn wurde in eigenthümlicher Weise frappirt von dem Anblicke der Dame, die sich mit freundlichem Ernst vor ihm verbeugte und ihm ein großes Schreiben übergab.

Es war nicht die auffallende Schönkeit dieser hohen dunklen Frauengestalt, die mit dem vornehmen Anstand eines ruhigen Selbstbewußtseins vor ihn trat, was ihn so bewegte. Es war eine erschütternde Erinnerung, die über sein Herz kam in diesem Augenblick.

Die Baronesse Mirzelska mahnte ihn mit ihren schönen, geistvollen Zügen auf’s lebendigste an Esther, an die arme Jüdin von Magdeburg. Es waren dieselben mandelförmigen, sammetweichen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_034.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2021)