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Seite:Die Gartenlaube (1860) 769.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

No. 49. 1860.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Aus dem Gedenkbuche der Gartenlaube.
An Deutschlands Frauen und Jungfrauen.
Ihr Leiterinnen und Bildnerinnen der künftigen Geschlechter, deutsche Frauen und Jungfrauen, in Eure Hand ist Deutschlands künftiges Glück oder Weh gegeben. Ihr sollt unsern Söhnen und Enkeln die Liebe und Treue in die Brust hauchen, welche nichts als das Vaterländische und Deutsche will, welche das Fremde und Ungleiche für das Eigene und Gleiche verwirft; Ihr sollt durch Euren Beifall oder Tadel, durch Eure Anerkennung oder Verwerfung dem ganzen Leben die Richtung und das Streben geben, die dem Vaterlande Heil und Ehre bringen. Die höchste Gewalt, die stille Gewalt der Sitte und Meinung, die allmächtige Gewalt des Herzens ist unter Eure Obhut gethan, Ihr werdet sie für das Vaterland gebrauchen, denn ihr wollet ja die Mütter und Gattinnen freier und stolzer deutscher Männer sein.
Darum bitte ich Euch im Namen meines Volkes und der höchsten Ehre des Volkes, der Sprache. Am meisten aber bitte ich Euch, fürstliche und adelige Frauen und Jungfrauen, die Ihr den glänzenden Reigen des höheren und idealischeren Lebens führet. Euch vor allen geziemt es, Euch zu deutschem Stolz und deutscher Glorie zu erheben und dem Großen und Kleinen des Volks voran zu leuchten. Euer ist die Aufgabe, zu beweisen, daß die deutsche Sprache auch ihre Grazien und Musen hat, die in Königssälen und Fürstenpalästen erscheinen dürfen; nur durch Euch können sie die Anerkennung gewinnen, die keine Klagen und Beschwerden der besseren im Volk ihnen gewinnen werden. O stellet Euch auf die Höhe, die Euch gebührt: wollet deutsche Frauen sein, wollet als deutsche Fürstinnen und Herrscherinnen glänzen, wollet das Deutsche als das Höchste und Herrlichste in Eurer Nähe leuchten lassen – und die Männer werden glauben, es sei das Höchste und Herrlichste. Dann erst wird die deutsche Sprache werden, was sie sein kann, und man wird sie nicht mehr beschuldigen, wie heute geschieht, sie könne nicht lieblich, anmuthig und fürstlich sprechen, sie könne nur mit dem Pöbel schelten und poltern und mit den Gelehrten verworrene Knoten dunkler und träumerischer Gespinnste schlingen.
     Im Jahre 1813.
Ernst Moritz Arndt aus Rügen.




Die schwerste Schuld.
Von dem Verfasser der neuen deutschen Zeitbilder.
1. Ein Flüchtling.

Der 18. October des Jahres 1813 war in jener Gegend, in welcher an diesem Tage die nachfolgenden Begebenheiten sich zutrugen, ein klarer, sonniger Herbsttag. Bei Leipzig war er der Tag des schrecklichsten Blutbades, welches freilich die Bluttaufe der Befreiung Deutschlands von den Franzosen war. Aber wem verdankte das deutsche Volk die französische Unterjochung, die sieben Jahre lang mit eiserner Schwere auf ihm gelastet hatte? Dieselbe Schuld droht wiederum Deutschland unter das fremde Joch zu beugen. Doch es steht ihr jetzt ein Anderes gegenüber. Der zum lebendigsten Bewußtsein erwachte Gedanke der Einheit und Einigkeit des deutschen Volks wird im Augenblicke der Gefahr zur lebendigen und kräftigen That werden, und muthig und groß neue Schmach und neues Elend von Deutschland zurückschlagen.

Die nachstehenden Begebenheiten trugen sich in einem von dem lebendigeren Verkehr abgelegenen Theile des gebirgigen Westphalenlandes zu. Wir verstehen darunter nicht das damalige Napoleonische Königreich Westphalen, das wenige Tage nachher verschwand, sondern die geographische Bedeutung jenes Namens. Denn jene Gegend war unmittelbar zu dem französischen Kaiserreiche geschlagen worden. Die Grenze eines deutschen, oder vielmehr, da damals Alles in Deutschland französisch werden mußte, eines unter einem deutschen Regentenhause verbliebenen Landes war nicht fern. An dieser Grenze patrouillirten zwei französische Gensd’armen auf und ab.

Sie befanden sich in einer engen, waldigen Schlucht und gingen dort mit gespannten Karabinern umher, nach jedem Geräusche lauschend, in jedes Dickicht spähend, stumm, nur durch Zeichen manchmal sich über etwas verständigend. Sie mußten eine wichtige Aufgabe haben, einen erheblichen Fang machen wollen. Ihre Aufgabe beschränkte sich auf die Schlucht. Sie horchten manchmal weiterhin, ein Zeichen, daß wohl auch weiterhin die Grenze in ähnlicher Weise besetzt war.

Es war Nachmittags, und die tiefste Stille herrschte. Die beiden französischen Gensd’armen waren die beiden einzigen lebenden Wesen in der Schlucht. Sie hörten nur das Rascheln des früh gefallenen Laubes unter ihren leisen Schritten. Sonst schlug kein Laut an ihr Ohr, auch aus der weiteren Ferne nicht. Sie waren etwa fünfzig Schritte von einander entfernt. Auf einmal standen sie Beide fast in demselben Augenblicke still. Beide horchten. Ein Schritt kam näher.

Die Schlucht selbst bildete die Grenze des französischen Kaiserreichs und des deutschen Großherzogthums, zu dessen deutschem Prinzen der französische Kaiser vielleicht in demselben Momente bei Leipzig die denkwürdigen und der Geschichte aufbewahrten Worte sprach: „Avancez, Roi de Prusse!“ Auf der Seite des Großherzogthums faßte ein hoher, dicht mit Holz bewachsener Berg sie ein. Auf der inneren französischen Seite lief eine niedrigere Hügelkette mit einzelnen tieferen Einschnitten. In einem dieser Einschnitte bewegte sich der näher kommende Schritt. Er mußte in der Mitte der Schlucht hervorkommen. Die beiden Gensd’armen standen mehr nach den Enden hin. Sie gingen auf die Mitte zu, leise, das Berühren des Laubes vermeidend, daß es nicht raschele, den

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 769. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_769.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2017)