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Seite:Die Gartenlaube (1860) 068.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Alles, was sie gethan, nicht mit natürlichen Dingen zuwege gebracht habe und daß sie nothwendig eine Hexe sein müsse.

Jahre vergingen, eh’ nach dem damaligen Verfahren die Acten geschlossen waren und eh’ der endgültige Spruch erfolgte. Das Benehmen der Bäuerin hatte die Sache auch verzögert, denn trotz der Geständnisse Pauls, des Bauers und einiger Genossen leugnete sie die gegen sie erhobenen Anschuldigungen und hatte mit vieler List ein Märchen ersonnen, an dem sie hartnäckig festhielt. Darnach bestand ihre ganze Schuld darin, daß sie Hans geliebt und aus Liebe zu ihm dessen räuberische Unternehmungen geduldet und nicht angezeigt habe. Er war der Räuberhauptmann, und nur das letzte Mal, als er zur bestimmen Zeit nicht nach Hause gekommen, hatte sie der Versuchung nicht widerstehen können, aus Neugierde seine Vermummung anzuziehen und an den ihr benannten Sammelplatz zu gehen, wo sie ganz unschuldig mit gefangen wurde. Sie beklagte unter bitteren Thränen, daß er nicht mehr am Leben sei, denn er würde gewiß die Wahrheit sagen und sie nicht in dem Unglück stecken lassen. Seine Ermordung war ohne ihr Wissen von Paul aus eigenem Antriebe aus Eifersucht geschehen.

So abenteuerlich die Erfindung klang, fand sie doch Jemand, der ihr nach und nach Glauben schenkte, das war Herr Kriegelsteiner, der schnurrbärtige Gerichtsdiener. Durch die mehrere Jahre andauernde Haft kam er mit ihr täglich und so oft in Berührung, daß der schwache Mann dem Eindrucke ihrer Schönheit in die Länge nicht widerstand. Sie wußte auch gegen ihn die leidende Unschuld mit großer Schlauheit zu spielen und den Unmuth, womit er sie empfangen hatte, zu entkräften. Bald hatte sie ihn ganz in ihr Netz gezogen und befand sich in’s Geheim durchaus nicht als Gefangene, sondern genoß alle möglichen Erleichterungen und Annehmlichkeiten.

Das Eintreffen des Endurtheils änderte die Sache. Paul wurde zum Tode, die Huberin nebst den meisten ihrer Genossen auf Lebensdauer in die Ketten verurtheilt. Die Todesstrafe konnte nach den bestehenden Gesetzen nicht gegen sie erkannt werden, weil ihr Bekenntniß fehlte. Der Bauer kam mit geringer Freiheitsstrafe davon; man hatte seine volle Zurechnungsfähigkeit bezweifelt.

Der Tag der Vollstreckung kam heran. Paul, von der Folter seines Gewissens und der langen Haft zu einem Skelett herabgesiecht, erlitt reuig und ergeben die Strafe, die sein Leben wohl nur um wenige schmerzliche Wochen verkürzte.

Tags darauf sollte die schöne Huberin in’s Zuchthaus abgeliefert, vorher aber eine Stunde auf dem Pranger öffentlich ausgestellt werden. Eine unabsehbare Volksmenge wogte und drängte auf dem Platze, wo der Schandpfahl errichtet war, und der Assessor, dem manches graue Haar gewachsen über der Riesenarbeit, die zu bewältigen war, erschien im Gefängnisse, die Verbrecherin zum letzten Acte abzuholen und damit seine Thätigkeit zu beschließen.

Aber die Ankunft derselben verzögerte sich von Minute zu Minute … dagegen erscholl aus den obern Gängen des Gefängniß-Gebäudes, wo die Keuche der Huberin war, verworrenes Geschrei und Durcheinanderlaufen. Besorgt eilte der Beamte hinauf und stand mit den verblüfften Gerichtsdienern vor der – leeren Zelle. Die Huberin war verschwunden, auf die rätselhafteste Weise, denn weder Thür und Schloß, noch Fenster und Gitter waren verletzt und geradezu unbegreiflich, wie sie zu entkommen vermocht hatte. Wer allein vielleicht Aufschluß geben konnte, schwieg weislich und wenn ihn auch mancher bedenkliche Blick traf, fehlte es doch an Anhaltspunkten, ihn geradezu zu beschuldigen.

Die Bäuerin ward nie mehr gesehen und nie eine Spur mehr von ihr angetroffen. Nur an der hintern Ecke des Huberhofes fand man eine frisch aufgebrochene, früher Niemand bekannte Nische in der Mauer. Wahrscheinlich hatte sie dort ihre Beute verborgen gehabt und auf der Flucht geholt.

Als sich das lärmende und schreiende Volk verlief, war wenigstens um die Hälfte mehr zu dem Glauben bekehrt, daß die schöne Huberin eine Hexe gewesen.




... Nach einigen Jahrzehnten hatte die stille Sehnsucht und Schwermuth ihres Gemüths auch Rosel in die Gegend zurückgeführt, wo ihr alle Freuden und Leiden des Lebens begraben lagen. Die dankbare Gemeinde gab ihr ein Stübchen zur Wohnung, wo sie, ein vergessenes altes Mütterchen, von ihrer Ersparniß und leichter Handarbeit lebte.

Ihre Hauptbeschäftigung aber war das Gebet, und jeden Tag kniete sie auf dem Dorfkirchhofe vor zwei Gräbern, die nicht einmal mehr mit Kreuzen bezeichnet waren. Ob der Sommer die unscheinbaren Hügel neu übergrast oder der Winter eine Schneedecke darüber geworfen hatte; ob die Sonne sich freundlich in dem blanken Kreuze des Kirchthurms spiegelte, oder Sturm und Regen durch die Grabkreuze fuhr – sie fehlte nicht zur gewohnten Zeit und betete eine Stunde lang.

Auch der Erzähler, auf einer Fußwanderung vom Unwetter überfallen und genöthigt unter dem vorspringenden Kirchen-Portale Schutz zu suchen, hat sie noch knieen gesehen. Als das Gewitter rasch vorübergegangen, suchte er ein Gespräch mit ihr anzuknüpfen, und der guten Alten, um deren Kummer und Gebet wohl schon lange Niemand mehr gefragt haben mochte, schien die Theilnahme wohlzuthun. Sie erzählte, was ihr begegnet war, einfach und schmucklos, wie es hier wieder gegeben ist. Als der Erzähler das Jahr darauf gerade zu der Stunde wieder vorüber fuhr, in der die Beterin sonst am Grabe zu knieen pflegte, war der Platz leer, und sie war wohl auch in der unscheinbaren Ecke hingelegt worden neben die, welche sie geliebt und für die sie gebetet hatte im Leben.




Bilder vom Nil.
Von Dr. A. E. Brehm.
I.  Ein Blick in und auf Kairo.

Es gibt einen Ort in Egypten, welcher heute noch alle Wunder dieses Wunderlandes in sich vereinigt und von Hundert und andern Hunderten der Abendländer aufgesucht wird, um innerhalb seiner Mauern Märchen und Traumbilder mit leiblichen Augen schauen zu können: dieser Ort ist Kairo. Keine einzige Stadt von allen, welche ich kenne, hat ihren alten Ruhm, ihre alte Dichtung, ich möchte sagen ihr märchenhaftes Sein in gleicher Weise bewahrt, als Khahira, „die Siegende“, Maheruhset, „die von Allah Beschützte“. Sie ist heute noch eine siegende Stadt und hat wohl Recht, siegesstolz zu sein; denn sie besiegt jeden, auch den trockensten Menschen, mit ihrem unendlichen Reiz, mit ihrem Leben, ihrem Sagenklang und Märchenduft. Kairo wird Jedem gerecht, bietet Jedem eine Gabe; darum läßt es auch bei Jedem eine Erinnerung in der Seele zurück, welche nach kurzer Frist den Geist fast allein zu beschäftigen weiß und mahnt und mahnt, doch noch einmal von dem Nektarbecher zu schlürfen, dessen Duft noch im Nachwirken berauscht.

„Man kann von Khahira ohne Uebertreibung sagen, daß es wenige andere Orte in der Welt mit so viel Zauber und Sinnbestrickung geben kann. Für den Abendländer hat das Leben in ihren Mauern einen niemals endenden Reiz. Nirgends in der Fremde kann er sich so wohl, nirgends sich so von allen beengenden Verhältnissen befreit fühlen, als hier.

Khahira wirkt durch ihre Umgebungen, wie durch ihre Bauart, durch Natur und Kunst zugleich, durch ihr Klima, ihre Luft, ihre gefällige, natürliche Lebensart, ihren tausendfältigen Wechsel, ihr Volk und dessen [?]Sprache, und endlich durch ihre Erinnerungen von der Sündfluth an bis zu dem laufenden Jahr, durch die magnetische Anziehung, welche von all’ den Wunderstätten, von den Pyramiden, von Heliopolis, den Chalifengräbern und der Stadt der Todten, der sie überthürmenden und beherrschenden Veste, dem Nil und seinen immergrünen Gärten, auf die Seele ausströmt.“

Kairo kann die Heimath vergessen lassen; denn es webt fort und fort seine Banden und Fesseln um Den, welcher in ihm verweilt; und darin besteht eben der Zauber, daß er es nicht einmal weiß, wie fest er in ihnen liegt. Es geht die Rede: „Unter Palmen wandelt Keiner ungestraft!“ – sie mag wohl

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_068.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)