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Seite:Die Gartenlaube (1859) 631.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

fand die Idee absurd, daß diese bezaubernd schönen Hütchen oder diese reizenden Coiffuren, welche die Herzen aller jungen Frauen entzückten, unter ihren hagern Händen hervorgegangen sein sollten. Daß sie gut copirte, war gewiß – allein dergleichen Meisterwerke erfinden –? Wie abgeschmackt, es ihr zuzumuthen! Da hätte jede der jungen Arbeiterinnen lieber sich selber ein solches Putzmachergenie zugetraut.

Noch sprachen alle lebhaft über Emilie, wobei sie fast darüber einig waren, daß Jene nicht recht gescheidt und die Principalin ein wahres Muster von Großmuth und Menschenfreundlichkeit sei, weil sie die närrische alte Jungfer im Hause behalte und obenein so freundlich behandelte. Da wurde Aline in’s Zimmer der Madame Albrecht gerufen und diese sagte ihr verbindlich:

„Fräulein Röder braucht eine junge Dame, die ihr ein wenig in die Hände arbeitet, Schleifen, Rüschen und dergleichen macht. Sie sind geschickt, Fräulein Munk, es wäre mir lieb, wenn Sie ihr alle Nachmittag von zwei bis drei Uhr in ihrem Stübchen helfen wollten. Es genirt sie, wegen jeder Kleinigkeit in die Arbeitsstube zu kommen, und sie wählte ausdrücklich Sie zur Gehülfin. Ich hoffe, es ist Ihnen nicht zu langweilig, täglich eine Stunde die gewohnte frohe Gesellschaft zu missen.“

Das junge Mädchen äußerte seine Bereitwilligkeit, und die Dame setzte hinzu: „Fräulein Emilie ist sehr eigen, daher können Sie dafür, daß Sie unter ihrer Anleitung arbeiten, Abends eine Stunde früher nach Hause gehen.“

Aline war darüber theils verwundert, theils erfreut. Jedenfalls war es ein Zeichen von Vertrauen, daß sie Zutritt in die kleine Arbeitsstube erhielt, worin nur die alte Demoiselle saß, wo Fräulein Therese zuschnitt und die Principalin oft vertraulich mit dieser sprach und sich auch zuweilen ein oder das andere Glied der Familie befand. Ihre Mitarbeiterinnen kamen nicht in dies Gemach, sie selber hatte darin schon einige Mal gearbeitet und schöne Augenblicke verlebt. Es enthielt übrigens nichts Merkwürdiges – einen großen Arbeitstisch, Haubenköpfe und Schachteln und was sonst zum Geschäft gehört. In einem Glasschrank befanden sich gewöhnlich einige wunderschöne Sachen, Pariser Modelle, und auch auf dem Tisch stand zuweilen etwas davon, weil Fräulein Emilie es copirte, wie es hieß.

Diese war heute nicht so theilnahmlos und gleichgültig, so ganz mit ihrer Arbeit beschäftigt, wie sonst. Sie richtete ihre Blicke prüfend auf das junge Mädchen und bemerkte wahrscheinlich jetzt zum ersten Male, daß es hübsch und einnehmend war. Dann gab sie ihm Arbeit, und Aline sah wieder, was sie schon längst entdeckt, daß Emilie einen außerordentlich guten Geschmack besaß und eine bewunderungswerthe Geschicklichkeit in der Verfertigung zierlicher Gegenstände. Sogar die einfachste Schleife ging unter ihren schmalen Händen hervor, als sei sie gar nicht gemacht, sondern habe von selber ihre leichte, gefällige Form angenommen.

Gegen ihre sonstige Gewohnheit, stumm zu arbeiten, fragte Emilie nach den Verhältnissen ihrer Gefährtin. Diese hatte bald ihre ganze Geschichte mitgetheilt. Ihr Vater war Beamter gewesen, doch schon längst todt, wie auch die Mutter. Sie lebte bei einer verheiratheten Schwester und mußte selber für ihren Unterhalt sorgen, da Jene, die Frau eines Eisenbahnbeamten, mit sich zu thun hatte.

„Und warum wünschten Sie reich genug zu sein, um Unterricht zu nehmen?“ fragte das alte Mädchen.

„Ich habe in meinem Leben so wenig gelernt!“ antwortete Aline mit gesenkter Stimme. „Schon von früher Jugend an mußte ich stricken, häkeln und flicken – da konnte ich an nichts Anderes denken, als an Gelderwerb. Aber nun ich älter werde, quält es mich, daß ich so gar wenig weiß und mein ganzes Leben nur mit Handarbeiten hinbringen soll. Die Meinigen sind auch schlichte Leute – in ihrer Mitte wird der Mangel an geistiger Bildung bei mir nicht vermißt; aber ich hörte Andere sprechen und da empfand ich mit bitterm Schmerz, daß ich nur von Hüten und Hauben, Stickereien oder dergleichen reden kann. Es gibt doch noch so unsäglich Vieles, was darüber hinausliegt, und ich – verstehe von Alldem nichts! Heißt das nicht sein Leben verfehlt haben?“

Sie war erstaunt über ihre Offenheit, allein sie erschrak heftig, als sie sah, welchen tiefen Eindruck sie hervorgebracht. Emilie war noch bleicher, als gewöhnlich; ihre Lippen bebten und nur mit Mühe vermochte sie eine Thräne zurückzudrängen.

„Mein Gott, Fräulein, ich habe Sie doch nicht beleidigt?“ sagte das junge Mädchen betroffen.

„Nein, nein, ich glaubte nur, Sie schilderten meine eigene Jugend!“ antwortete die Putzmacherin fast unhörbar.

So tief ihre Bewegung auch war, sie hatte sich bald gefaßt und arbeitete emsig weiter. Ihre Gesellschafterin war viel nachhaltiger ergriffen. Sie schaute auf das verblühte Gesicht, auf die verkümmerte Gestalt vor ihr und dachte daran, wie viel heiße Thränen über diese blassen Wangen geflossen sein mußten, um ihnen so tiefe Falten auszuhöhlen; wie drückend die Last gewesen, welche diese einst gewiß elastische und lebenskräftige Gestalt gebeugt. Ihr Blick schweifte zum Spiegel hinüber, welcher ihr eigenes, blühendes Bild wiedergab, und zu dem Mitgefühl um dies arme Wesen, welches in der That sein Dasein verfehlt, kam ein leises Grauen vor der eigenen Zukunft und Mitleid mit sich selber. Jene war einst ja auch siebzehn Jahr gewesen, wie sie jetzt; – Träume, Ahnungen, Wunsche und Hoffnungen, wie sie ihre eigne Brust hoben, hatten gewiß auch dieses Herz höher schlagen lassen, und jetzt?

„Was machen Sie denn, Fräulein? Sie verderben ja die Gardine!“ sagte in diesem Augenblicke das alte Mädchen, zwar nicht unfreundlich, doch ziemlich gleichgültig. Aline hatte es nicht beachtet, daß ein paar schwere Tropfen auf ihre Arbeit geträufelt waren. Sie wurde glühend roth und senkte beschämt den Kopf, gefaßt auf eine Strafrede. Doch diese blieb aus, vielleicht weil in demselben Augenblicke im anstoßenden Zimmer die Töne eines Flügels erklangen. Der älteste Sohn der Principalin, der Baumeister titulirt wurde, obgleich er das Baumeisterexamen noch nicht gemacht hatte, spielte hier gewöhnlich Nachmittags ein Stündchen, und Aline hatte ihn schon öfter vernommen. Heute hörte er indeß bald wieder auf, sein jüngster Bruder, der Student, welcher sich in den Sommerferien hier aufhielt, trat zu dem Spieler, und sie plauderten mit einander. Die dünne Wand ließ jedes Wort durchdringen, und das junge Mädchen lauschte still auf die sonore Stimme des Baumeisters.

Vor einigen Wochen hatte sie einst zufällig auf derselben Stelle gesessen und gehört, wie dieselbe Stimme zu dem stets widerspruchslustigen Bruder sagte: „Nein, auch für Mädchen der Mittelstände scheint mir vielseitige Bildung unerläßlich. Geistige Entwickelung heißt ja erst Leben, und sollen denn so viele arme Geschöpfe ihr Dasein hindurch bei Handarbeiten vegetiren, wie etwa unsere Cousine Emilie? Freilich machen Kenntnisse nicht glücklich, aber wahre Bildung läßt nie ganz unglücklich werden; sie gibt auch dem Einsamen und Verlassenen mannichfache Anknüpfungspunkte an das Leben; – daher ist sie vor Allem den alten Mädchen nöthig.“

Aline hatte damals erschrocken auf die alte Putzmacherin geschaut, die eben erwähnt worden. Doch diese hatte von dem Gespräch im Nebenzimmer nichts gehört, wie sie überhaupt, in ihre Arbeit vertieft, wenig von dem wahrzunehmen pflegte, was um sie her vorging.

Auf das junge Mädchen hatten jene Worte einen unauslöschlichen Eindruck hervorgebracht, und es beklagte seitdem lebhaft, daß es nicht Zeit und Gelegenheit hatte, sich zu bilden.

Jetzt entfernten sich die Sprechenden aus dem Nebenzimmer, und Aline spann ihre vorhin unterbrochenen Gedanken weiter aus. Ihre Gesellschafterin war auch einmal siebzehn Jahre gewesen, ihre Jugend hatte der ihrigen geglichen – würde sie selbst auch einst ein so verkümmertes, altes Mädchen werden, das in dem Putzmachen mit Leib und Seele aufgegangen war? Wie unsäglich öde und trostlos erschien ihr ein solches Leben! Und doch stand ihr keine andere Zukunft bevor, doch war es auch ihr Loos, einsam zu verblühen, lebenslänglich Putz zu machen, kein höheres Interesse als Blonden und Sammetblumen zu haben. Verheirathen würde sie sich nie, das war sicher – es schien ihr entsetzlich, einem Manne um der Versorgung willen die Hand zu reichen, wie das ihre Schwester gethan hatte, und wie es arme Mädchen oft thun müssen, wenn sie nicht verlassen altern wollen. Selbst ein Dasein, wie es die arme Emilie führte, schien ihr nicht so bedauernswerth, als eine Ehe, wie sie Mädchen ihres Standes gewöhnlich wird – konnte man in dem öden, einsamen Alter doch wenigstens ungestört den Erinnerungen der Jugend nachhängen. Ob Emilie deren auch wohl hatte? – Gewiß, sie hatte ja sogar einen Bräutigam gehabt!

Mit lebhaftem Interesse schaute das junge Mädchen auf das alte; es bemühte sich, auf dem bleichen Antlitz und in feinen Fältchen die Geschichte der Vergangenheit wie die Empfindungen der Gegenwart zu lesen, doch ließ sich davon nichts wahrnehmen. Mit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 631. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_631.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)