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Seite:Die Gartenlaube (1859) 122.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

an seine Eltern beendet, die ihre Liebe für den Verirrten nur noch verdoppelten. Auf dem Tische stand ein frischer Blumenstrauß, den ihm der freundliche Gefangenwärter gebracht.

„Sie blühen und verwelken,“ sagte Sand mit melancholischem Lächeln. „Alles Schöne in der Natur muß so vergehen, wenn es zeitigen und zur Reife kommen will.“[1]

Er nahm eine weiße Monatsrose, die er sinnend betrachtete; in ihrer blassen Schönheit erinnerte sie ihn an das Bild einer eben erst entbundenen Mutter. Als er sie genauer ansah, bemerkte er einen weißen Streifen, der vom Bisse eines Wurmes herrührte. Mit einem leisen Seufzer legte er die kranke Rose aus der Hand.

Der Gefangenwärter trat jetzt ein, und meldete ihm den Besuch eines Herrn und einer Dame, die ihn zu sprechen wünschten. Seit Verkündigung des Urtheils hatte das Gericht ihm Erlaubniß ertheilt, Fremde in seinem Kerker zu empfangen. Ueberhaupt wurde ihm während seiner Haft die schonendste Behandlung zu Theil, so weit dies möglich war.

Bei Nennung des theuern Freundesnamens unterdrückte Sand einen leisen Ruf, um seine innere Bewegung nicht zu verrathen. Unwillkürlich griff er nach der kranken Brust, wo er in der Gegend des Herzens einen lebhaften Schmerz empfand.

Hagen führte seine bleiche Schwester am Arme, die bei Sand’s Anblick fast zusammen brach, aber bald sich wieder emporrichtete. Welch ein Wiedersehen!

Die Nähe des Gefangenwärters legte den Freunden einigen Zwang auf; erst als sich dieser auf einige Augenblicke zurückzog, überließen sie sich dem Ausdruck ihrer schmerzlichen Empfindungen. Emma reichte ihm die zarte Hand, die er lange Zeit in der seinigen hielt. Als sie dieselbe zurückzog, war sie feucht von seinen Thränen. Sand hatte sich zuerst gefaßt und behauptete eine seltene Ruhe, während Friedrich seine tiefe Trauer, die an Verzweiflung grenzte, nicht in eben dem Maße zu bemeistern wußte.

„Ihr habt mir,“ sagte der Unglückliche, „eine unerwartete Freude durch Eure Gegenwart bereitet. Wie oft habe ich an Euch gedacht! Ist es mir doch in diesem Augenblicke, wo ich Emma’s theure Züge sehe, als umschwebte mich das Bild der fernen Mutter, als brächte mir mein Schutzengel Trost und Segen vom Himmel selbst herunter.“

„O, wenn ich Dich retten könnte!“ rief Hagen voll Verzweiflung über seine Ohnmacht.

„Ich sterbe gern und freudig; in der Kraft Gottes will ich mich fassen. Unter allen Leiden des menschlichen Lebens halte ich es für das schwerste, zu leben, ohne dem Vaterlande und den höchsten Zwecken der Menschheit dienen zu können. Was ist das Dasein, wenn ich nicht in meiner Liebe wirken kann für die Idee, wenn ich nicht frei sein darf! – Ich nähre die Hoffnung, durch meinen Tod denjenigen zu genügen, die ich und die mich hassen, und wiederum die zu befriedigen, deren Gesinnungen ich theile und deren Liebe mit meiner Erdenseligkeit eins ist. Willkommen ist mir der Tod, da ich noch die nöthige Kraft in mir fühle, um mit Gottes Kraft so zu sterben, wie ich soll.“[2]

„Diese Resignation,“ entgegnete der Freund, „mag erhaben sein, aber ich begreife sie nicht. Hat das Leben keinen Reiz für Dich? Du darfst nicht sterben, nicht auf dem Blutgerüste enden.“

„Wie willst Du es hindern?“ fragte Sand, in dessen erloschenen Augen ein Hoffnungsschimmer blitzte.

„Du hast Freunde,“ flüsterte Hagen leiser, „die für Dich das Aeußerste wagen würden. Sage, daß Du nicht sterben willst, und es wird uns nicht an Mitteln fehlen, Dich zu retten. Die Grenze ist nahe, und wenn es Noth thut, tragen wir Dich auf unsern Schultern fort, wenn Deine Wunden Dich am Gehen hindern sollten.“

„Nein!“ entgegnete Sand mit Festigkeit. „Ich habe bereits Unheil genug über meine theuern Brüder gebracht. Rufe nicht die eitle Hoffnung wieder wach, rüttle nicht an meiner Fassung, die ich mühsam mir erworben habe. Ich muß und will sterben, wäre es auch nur, um das vergossene Blut zu sühnen.“

„Er hat Recht,“ entschied Emma mit sanfter, aber kräftiger Stimme. „Wie gern wollte ich den Tod für ihn erleiden, und doch sehe ich ein, daß er nicht anders kann und darf. Nicht die irdische Gerechtigkeit, sondern der Himmel muß versöhnt werden. Ja, Sand, ich begreife Sie und fühle wie Sie, daß Ihr Bleiben nicht auf dieser Erde ist. Gott wird Ihnen ein milder Richter sein und Sie in der schweren Stunde nicht verlassen.“

„Das ist die Stimme meiner Mutter!“ rief er tief bewegt.

„Segne mich, wie sie mich segnen würde in diesem Augenblick.“

Eine tiefe Stille herrschte in dem Kerker; Emma betete für den zum Tode Verurtheilten.

Als sie geendet, hauchte sie einen leisen Kuß auf seinen Mund, rein wie ein Engel Gottes, der eine verirrte Seele in die Heimath führt. Kein Wort wurde mehr gesprochen; so schieden sie.

Sand blieb allein in Gedanken versunken. Zum ersten Mal in seinem kurzen Leben hatte er ein Gefühl, das der Liebe glich.

„Zu spät!“ murmelte er mit bleichen Lippen. „Als ein Sterbender erfahre ich erst, daß das Weib die Krone der Schöpfung ist. Alles Heil ruht im Schooße der Familie; sie muß uns eben so heilig sein, wie das Vaterland. Ach! warum hab ich diese Wahrheit erst am Rande des Grabes kennen gelernt?“

Dieses schmerzliche Bedauern war jedoch mit einer wunderbaren Freudigkeit gemischt, als hätte der Segen Emma’s jedes Leid von ihm gebannt.

Seine Betrachtungen wurden durch den Eintritt eines Mannes unterbrochen, den Sand selbst dringend zu sprechen gewünscht hatte.

Der fremde Gast, welcher sich ihm jetzt näherte, verrieth in seinem wohlwollenden Gesichte eine tiefe Theilnahme, die wunderbar mit seiner gewohnten Beschäftigung contrastirte.

Es war der Scharfrichter Widmann aus Heidelberg, der Sand am morgenden Tage hinrichten sollte.

Als der Zuchthausverwalter diesen Namen nannte, erheiterte sich das Gesicht des Verurtheilten; er richtete sich von dem Lager auf, ließ den Scharfrichter neben sich setzen und faßte seine Hand, die er während der ganzen Unterhaltung mit ihm nicht wieder log ließ. – Widmann war dagegen so niedergeschlagen und konnte so wenig seine Bewegung unterdrücken, daß er der Delinquent zu sein schien. Sand mußte ihn ermuthigen.

„Bleiben Sie standhaft,“ sagte er freundlich; „an mir soll es nicht fehlen. Ich werde nicht zucken. Und wenn auch zwei oder drei Hiebe erforderliche sind, so dürfen Sie darum die Fassung nicht verlieren.“[3]

Darauf bat er ihn, sich Zeit zu nehmen, und fragte, wie er sich zu verhalten habe; worauf er ihm im Voraus für seine Mühe dankte.

„Denn nachher,“ fügte er mit einem ihm sonst nicht eigenen Humor hinzu, „werde ich Ihnen nicht mehr danken können.“

Als der Scharfrichter sichtlich erschüttert gegangen war, legte sich Sand zu Bett und schlief wie zu jeder andern Zeit so fest, daß er um vier Uhr Morgens geweckt werden mußte. Es wurde ihm angekündigt, daß seine Hinrichtung schon um fünf statt um elf Uhr Vormittags stattfinden würde, wie anfänglich bestimmt war, vorausgesetzt, daß er hinlänglich vorbereitet sei.

„Das bin ich in diesem Augenblick!“ erwiderte Sand.

Er hatte die Begleitung der Geistlichen zur Richstätte zwar abgelehnt, aber er betete mit ihnen voll tiefer Andacht. Nachdem dies geschehen, sprach er die Worte Körners, seines Lieblingsdichters: „Alles Ird’sche ist vollendet und das Himmlische geht auf.“

Auf einer Wiese vor dem Heidelberger Thore, welche seitdem im Munde des Volkes „Sand’s Himmelfahrts-Wiese“ hieß, wurde das Schaffot fünf bis sechs Fuß hoch aufgeschlagen. Unzählige Fremde strömten von den benachbarten Städten und Dörfern herbei. Besonders fürchteten die Behörden die Gegenwart der Studenten aus dem nahen Heidelberg und möglicherweise von ihnen ausgehende Unruhen; weshalb die Hinrichtungsstunde so sehr beeilt wurde. Es waren alle nöthigen Vorsichtsmaßregeln getroffen; das Militair, aus zwölfhundert Mann Infanterie bestehend, umgab im Quarré das Schaffot. Dreihundert Reiter wurden zur Begleitung des Gefangenen verwandt, und außerdem stand die ganze Artillerie in Bereitschaft, um mit brennender Lunte jeden Versuch zur Befreiung Sand’s zu unterdrücken. Alle Straßen wimmelten von Neugierigen und Wachen, obgleich die gebildeteren Einwohner Mannheims in ihren Häusern blieben, und viele selbst schon vorher die Stadt verlassen hatten, um nicht Zeugen des blutigen Schauspiels zu sein.

Es war ein regnerischer Morgen, als Sand in einer offenen, niedrigen Chaise die Thore seines Kerkers zum letzten Male verließ.

  1. Sand’s eigene Worte.
  2. Sand’s eigene Worte.
  3. Historisch.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_122.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)