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Seite:Die Gartenlaube (1859) 060.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Gebahren hob seine Gestalt, wie sie gerade während dieser Zeit beim Hirsche in der That am großartigsten ist. Dazu kam noch die jetzt besonders malerische Färbung des Haares, so daß er mit seinem hellgrauen Kopfe und der dunklen struppigen Mähne am Halse nur noch mächtiger und durch den schwarzen Moorbodenschlamm, in dem er sich kurz vorher gefühlt und der die ganze untere Hälfte seines Leibes, so wie die Läufte schwarz gefärbt hatte, wahrhaft dämonisch erschien. Wohl eine halbe Stunde lang genoß ich so die Lust, den Herrscher des Gebirges zu bewundern, der jeden Schritt seiner gleichgültigen Schönen eifersüchtig bewachte, sie immer und immer trieb, oder seine Wuth, namentlich wenn er einen andern Hirsch, der drüben über dem Thale stand, hörte, durch Schlagen mit seinem Geweih gegen Baum und Strauch kund gab. Man wurde versucht zu glauben, die Stangen müßten vom Kopf herunterbrechen, so weit klirrend schallten die Schläge.

Die Sonne stieg indessen höher und höher und veranlaßte das Wild, sich etwas thalabwärts dem Walde zuzuziehen. Mit tief gehaltenem Kopfe zog der Hirsch hinterher, dann und wann murksende Töne ausstoßend, bis Alle meinen Augen entschwanden. Jedenfalls waren sie zu Holze, vielleicht nach dem Brunftplatz hingezogen und hatten sich niedergethan; denn von nun an war der Hirsch verstummt. Für mich auf meiner einsamen Zinne war’s jetzt Zeit zu anderen Betrachtungen. Vorzüglich beschäftigte mich die Frage, wie ich wieder hinunterkommen würde. Jenseits ging’s zwar weniger tief, aber um so steiler, ja sogar überhängend hinab. Es blieb mir daher nichts Anderes übrig, als da wieder hinunter zu klettern, von wo ich gekommen war. Als ich mich dazu anschickte, beschlich mich ein ähnliches Gefühl, wie es Jeder wohl öfters im Traume gehabt: man ist auf eine schöne Stelle wie durch Zaubergewalt versetzt worden, aber ach, auch abgeschnitten vom gefahrlosen Boden – dazwischen liegen finstere Schrecknisse. Dem Träumenden helfen dann bisweilen Flügel oder im schlimmsten Falle ein jäher Sturz, von dem man mit Herzklopfen erwacht. Doch hier war ich schon wach, und wenn ich auch nicht gerade Herzklopfen hatte, so war mir doch auch nicht eben behaglich zu Muthe. Nachdem ich mich, da ich einmal oben war, noch gehörig umgesehen, denn es war zauberhaft schön, ging ich an’s Werk des Hinabsteigens. So viel war mir klar: auf das Gebüsch konnte ich mich verlassen; denn ich glaube, man kann eher ein Drahtseil zerreißen, als so einen Laatschenast abbrechen. Mein aus den Knabenjahren, in denen ich ein verwegener Kletterer war, angenommenes System – einen Fuß von dem eingenommenen Standpunkte niemals eher wegzusetzen, bis nicht die Hand einen sicheren Halt gefunden, und eben so nicht eher eine Hand freizumachen, bis nicht der Fuß wieder festen Boden gefaßt – ließ mich leichter, als ich geahnt hatte, und ohne Unfall auf ungefährliches Terrain kommen.

Mit wahrem Behagen setzte ich mich nun hin, um das Geschehene in meinem Skizzenbuche als Motiv festzustellen und nach der Natur zu zeichnen. So kam der Nachmittag unter immerwährend wechselnden, herrlichen Eindrücken heran.

Da mir die Wege im Gebirge, wie gesagt, vollkommen unbekannt waren und ich nicht Lust hatte, die Kletterei über Schluchten und Hänge zurück auf dem Wege, wo ich gekommen war, von Neuem zu beginnen, beschloß ich, gerade hinab in das Thal zu steigen, um so wenigstens den Vortheil der Neuheit zu haben. Das Rauschen eines Wassers unten, vermuthlich die Riß, ließ mich keine Verirrung befürchten. Gedacht, gethan. Erst mußte ich noch steinige und grasige Hänge hinabklettern; dann aber schritt ich über eine verlassene Alm dem Walde zu, der mich bald aufnahm. Er war, wie nur ein Urwald gedacht werden kann. Während das moosige Terrain in seinen Linien eine längst untergegangene Baumgeneration ahnen ließ, lagen ihre Nachfolger gebrochen und untereinander gewürfelt, mit Moos und Flechten überzogen, in ihren Formen noch da. Aber wie morsche Mumien beim Berühren zusammenfallen, so auch diese Scheingebilde des Waldes. Stieg man über sie hin, so sank man bis an die Kniee und weiter ein; – es war Humus, – Staub der Verwesung! Ein drittes erstorbenes Geschlecht, das am Boden lag oder wohl noch stand, war zwar Holz, doch morsch und bot den Spechten die willkommensten Speisebehälter. Wie von Kugeln zerschossen, zeigten diese Stämme unzählige cirkelrunde Löcher, die jene Vögel, welche hier ihr Eldorado haben, mit den Schnäbeln gemeißelt hatten, um mit ihren spitzen Zungen die Larven aus dem Holze zu holen. Die lebenden Bäume endlich, und zwar vom Greisen- bis zum Kindesalter herab, beschatteten den ernsten Friedhof, auf dem auch sie ihrer Erfüllung entgegenharrten. Hier war‘s still, so still, daß man sich athmen hören konnte; denn kein Hauch bewegte die Nadeln der alten Tannen und Fichten, so wie die goldigen Blätter des Ahorn und der Buche, die hier schon auftraten. Wie in einem Zauberschlafe standen die ehrwürdigen Häupter mit grünlich-weißen Flechtenbärten, die unbeweglich an ihnen herabhingen. Nur das Rauschen des Wassers in der Tiefe unten unterbrach das heilige Schweigen, denn nicht einmal ein Vogel ließ sich vernehmen. Und doch, – wie beredt sprach diese stille Stunde von der ewigen Liebe und Güte des Schöpfers und von dem Glücke, Mensch zu sein!

Ohne Aufenthalt verfolgte ich über Moos und Stämme, Steine und Bäche meinen beschwerlichen Weg. Wie das Schreien des Hirsches seiner vermeinten Nähe halber mich verlockt hatte, emporzuklimmen, so erging es mir bergab mit dem Rauschen des Wassers, das ich auch viel näher vermuthete, als es in der That war. Wenn ich zuversichtlich glaubte, bald unten zu sein, da kam ich an einen Vorsprung, von dem aus ich noch in die blaue Tiefe sah und ausbiegend wieder die minder steilen Hänge suchen mußte. Bei diesem Niedersteigen hatte ich nochmals die Freude, einen Hirsch mit Wild, und zwar ganz nahe, bei mir vorüberziehen zu sehen. Vorsichtig, um sie nicht zu stören, blieb ich stehen, so daß sie ruhig, ohne mich bemerkt zu haben, weiterzogen. Endlich fand ich, nachdem ich einem ausgetrockneten Gießbachbett gefolgt war, einen Pfad, der freilich nicht breiter als einen Fuß war, mich aber doch, wenn auch nicht immer auf die bequemste Weise, weiter leitete. Manchmal kam ich an ganz verteufelt knapp hinunterschießenden Stellen vorüber, die, waren sie auch vielleicht nicht höher, als ein vierstöckiges Haus, doch vollkommen genügt hätten, dem Hinunterfallenden ein offenes Grab zu sein. Es dauerte indessen nicht lange, so sah ich die Riß, allerdings noch ziemlich tief unten, und mit verdoppelter Eile steuerte ich abwärts. Nach einiger Zeit erreichte ich das Thal, zwar eine hübsche Strecke weiter stromabwärts, als ich beabsichtigt hatte; aber ich befand mich mit heiler Haut unten, und das war mir die Hauptsache. Dennoch merkte ich, fast möchte ich sagen, zum ersten Male in meinem Leben, daß die Fahrt meine Beine angegriffen hatte, denen ich, um gerecht zu sein, nachrühmen kann, sich sonst kein ungebührliches Bemerkbarmachen zu Schulden kommen zu lassen. Bald darauf saß ich in meinem Hotel und ließ mir’s nach den überstandenen Strapatzen und Entbehrungen wohlschmecken, ohne der Art der Bereitung nachzugrübeln.

Am andern Tage, als ich mich abermals zu Excursionen aufmachte, hatte ich durch einen zufälligen Umstand das Glück, die Aufmerksamkeit des Jagdherrn, des Herzogs von Coburg, der bereits anwesend war, auf mich zu ziehen. In einer längeren Unterredung gab sich das lebendigste Interesse für Kunst, Poesie und Natur, wodurch sich der reich begabte und selbstschaffende edle Fürst, wie bekannt, so sehr auszeichnet, kund. Die Gunst dieser Begegnung hatte die Folge, daß ich von dem Herzog mit einer Einladung zum Frühstück auf dem Pürschhause Steileck beehrt wurde und dadurch Gelegenheit erhielt, ein Jagdschauspiel von wahrhaft dramatischer Großartigkeit zu sehen.

Auf halbem Wege nach dem genannten Pürschhause, wohin mich der Kammerdiener des Herzogs, Herr Wenzel, in dem ich einen humoristischen, gebildeten und kunstsinnigen Mann kennen lernte, führte, schloß sich uns ein Jäger des Herzogs an, ein echter Gebirgsjäger, der bereits ein Haselhuhn (diese Thiere kommen hier häufig vor) geschossen hatte. Zwei vortreffliche Schweißhunde folgten ihrem Führer auf dem Fuße und bildeten mit der kräftigen Jägergestalt in ihrem malerischen Costüm eine lebendige Staffage. Einen Hirsch, auf den er durch seinen Schrei aufmerksam gemacht worden, entdeckte Moosrainer, so hieß der Sohn des Gebirges, alsbald mit scharfem Späherauge. Drüben am rasigen Hange, am Rande eines alten Fichtenbestandes, zeigte sich der Hirsch mit mehreren Stücken Wild. Deutlich sah man ihn gegen junge Bäume schlagen, daß die Wipfel sich peitschend hin- und herbewegten. Es war dieser Hang nach der Aussage der beiden mich Begleitenden, denn auch Herr Wenzel besaß eine ganz ungewöhnliche Ortskenntniß hier im Gebirge, nicht weit vom Pürschhause Steileck, und ungefähr auf Schießweite zog sich ein Pürschpfad hin, den man bereits erkennen konnte, und auf dem der Herzog jeden Augenblick erscheinen konnte, da er schon vor uns aufgebrochen war. So lange wir den Hirsch beim Fortschreiten in Sicht behielten, hafteten unsere Augen unverwandt an ihm, so wie das Ohr dem scharfen Knall der Büchse

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_060.jpg&oldid=- (Version vom 17.12.2022)