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Seite:Die Gartenlaube (1854) 228.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

die Hand des Gehenkten fester sich an seine Hand hielt und diese krampfhaft drückte. Sein Blut stockte, und entsetzt wollte er den Leichnam von sich werfen, aber vergebens, die Arme des Buchhalters hielten sich fest an ihn und drohten ihn zu erwürgen; der Angstschweiß brach ihm aus und schon war es ihm, als höre er ein leises Stöhnen und als hauche mit warmem Lebensathem der Todte ihn in’s Ohr; – da, seiner Sinne kaum mehr mächtig und von wahnsinniger Furcht gepackt, riß er mit der Kraft der Verzweiflung die seinen Nacken umklammernden Arme des Gehenkten auseinander und den Leichnam unter laut schallendem Gepolter auf die Hausflur werfend, verlor er, über sein Schwert stolpernd, das Gleichgewicht und stürzte mit dem Gehenkten zugleich zur Erde. Unverkennbar hörte er jetzt ein leises Aechzen und Stöhnen dicht neben sich und fühlte, wie der Gehenkte, auf welchen er gefallen war, Arm und Fuß zu bewegen begann und sich an ihm anzuhalten versuchte; er hörte im obern Stockwerk Stimmen laut werden und bemerkte bei dem schwachen Schimmer eines von dem obern Stockwerke herableuchtenden Lichts die Treppe, an deren letzte Stufen er mit dem Buchhalter zusammengesunken war. Er suchte zu entfliehen, aber die Kniee versagten ihm den Dienst, und nur als Lichtschimmer und Stimmen immer näher kamen und ihm trotz seiner Todesangst klar wurde, daß, wenn man ihn hier finde, er schwer für diesen Frevel büßen müssen und in harte Haft gelangen könnte, statt morgen mit dem Stallmeister hinauszuziehen als freier, stattlicher Reitersmann, da raffte er sich gewaltsam empor und eilte nach dem Hofe, um von da in den Garten durch die offene Hinterpforte außer den Bereich der Stadt zu gelangen und im nächsten Dorfe Rast zu halten, bis der Stallmeister vorüberziehe und ihn mitnehmen werde. Allein die Verwirrung, in welcher er sich befand, ließ ihm diesen Ausweg nicht finden, und um nur vor der Hand den Blicken der herbeieilenden Hausgenossen verborgen zu sein, schlich er, von Fieberfrost geschüttelt, in einen leer stehenden Schuppen, welcher den Hof von dem Garten trennte, und drückte sich in dessen Hintergrund unter Lattenwerk und Gerölle aller Art ängstlich zusammen, hoffend, sobald als möglich von hier aus noch entfliehen zu können.

Unterdeß waren die Hausbewohner näher gekommen und der Rathsherr, welchen zwei Diener mit Lichtern begleiteten, war der Erste, welcher den gehenkten Buchhalter erblickte, der jetzt völlig zum Leben erwacht, auf seine Kniee gesunken war und mit wirren Blicken die Näherkommenden anstarrte.

„Alle guten Geister loben Gott den Herrn!“ schrie der Rathsherr entsetzt zurückweichend, als er in der Jammergestalt seinen Buchhalter erkannte.

„Amen!“ stöhnte dieser und streckte wie um Gnade flehend die Hände nach dem frühern Brotherrn aus.

Da entsanken die Leuchter den zitternden Händen der Diener und in wilder Flucht und unter gellendem Hülferuf stürzten Alle auf die Straße.

Wenige Minuten darauf füllte sich Hausflur und Hof mit den theils erschrockenen, theils neugierig herbeieilenden Bewohnern der Nachbarschaft, und die Beherztesten derselben traten dem Gehenkten näher und beleuchteten ihn mit ihren Fackeln. Dieser aber vor Frost und Furcht zitternd, streckte wiederholt seine Hände den Staunenden entgegen und wimmerte kläglich um Gnade. Als nun aber Alle sich überzeugt, daß hier von einem Geisterspuk die Rede nicht sein könne, obgleich man den Buchhalter am Galgen und nicht hier in der Hausflur zu finden geglaubt hatte, da nahm der Rathsherr endlich das Wort und rief: „Wie kommt Ihr hierher, Unseliger?“

„Ich weiß es nicht,“ stöhnte kläglich der Befragte. „Mir ist es, als ob ich jetzt erst aus einem schweren, mir den Athem raubenden Traume erwacht sei, und als hätte ich durch einen schmerzhaften Fall wieder neues Leben in mir gefühlt.“

„Und wer hat Euch vom Galgen abgeschnitten?“ fragte der immer noch furchtsam in weiter Entfernung von dem auf den Knieen liegenden Delinquenten sich haltende Rathsherr und wieß auf den zerschnittenen Strick, dessen Ende auf den Rücken des Buchhalters herabfiel, während die von dem Henker geknüpfte Schleife sich aufgelöst hatte und nur locker den Hals umgab.

„Auch das weiß ich nicht, aber habt Erbarmen, laßt mir das Leben, und führt mich nicht wieder zum Hochgericht!“ stammelte jammernd der Buchhalter.

„Damit Ihr von Neuem wieder stehlen könnt!“ grollte der Rathsherr, bei welchem mit der verschwindenden Furcht der Haß gegen den Dieb wieder die Oberhand erlangte.

„O erbarmt Euch, und laßt mir mein elend Leben, nur nicht wieder zum Galgen!“ schrie der Gehenkte und rutschte auf den Knieen dem Rathsherrn näher, indem er dessen Hand zu erhaschen suchte.

„Das wird nimmer geschehen,“ entgegnete kalt und ernst die Stimme des Bürgermeisters Wolf Mühlhof, welcher durch den Volksauflauf herbeigeführt, mit einer Abtheilung Bewaffneter sich durch die Menge Platz brach. „Das Urthel des Gerichts,“ fuhr er fort, finster auf den Buchhalter blickend, „hat Euch das Leben abgesprochen, und welcher Spuk Euch auch wieder in Leben gerufen, Ihr seid dem Galgen verfallen und werdet demselben verbleiben. Auf! bindet ihn und führt ihn in Gefängniß, von wo aus er morgen in frühester Stunde die Reise wieder antreten mag nach seinem letzten Ziele, damit nicht Spott getrieben werde mit des hochnothpeinlichen Halsgerichts Urthel und Spruch.“

Diesem Befehle wagte keiner der Anwesenden entgegenzutreten, obgleich die Mehrzahl derselben nicht ohne Mitleid auf den Unglücklichen blickte, welcher jetzt wild aufheulend vor verzweiflungvoller Todesangst vergebens die Kniee des kalten, strengen Bürgermeisters zu erfassen versuchte. Die Bewaffneten ergriffen ihn, banden ihm die Hände auf den Rücken und schleppten ihn in’s Gefängniß; das Volk verlief sich, die Knechte des Lederhändlers aber, welche jetzt sorgsam Hof und Garten durchsuchten und mit Befremden die Hinterpforte offen fanden, entdeckten den in seinem Versteck sich verborgen haltenden Polen, den seine alte Keckheit gänzlich verlassen zu haben schien, so lange er hier in Besorgniß geschwebt, aufgefunden zu werden, dessen Trotz aber wiederkehrte, als die Knechte über ihn herfielen und ihm nach heftigem Widerstande ebenfalls die Hände knebelten.

„Also Ihr hier und versteckt gleich einem Strauchdiebe!“ rief der Lederhändler, eben nicht freudig überrascht bei dem Anblicke seines ihm verhaßt gewordenen Schuldners. „Ha, gewiß, Ihr und kein Anderer hat den Gehenkten vom Galgen geschnitten und in mein Haus getragen!“

„Wer sagt Euch dies!“ entgegnete trotzig der Pole und versuchte unter vergeblichen Kraftanstrengungen seine Hände aus den fesselnden Banden zu befreien.

„Kein Anderer als Ihr ist eines solchen Bubenstreichs fähig!“ fuhr der Rathsherr voll bittern Grolles fort. „Was hättet Ihr auch Ursache zur Nachtzeit Euch zu verbergen im entlegensten Winkel jenes Schuppens?“

„Ich wollte mir noch einmal genau das Haus besehen, dessen Besitzer ich gerettet aus Räuberhänden, und der mich jetzt fesseln läßt durch seine Knechte, gleich dem ärgsten jenes Gesindels,“ knirrschte Wranitzky mit steigendem Ingrimm. „Nehmt mir die Stricke ab, Ihr Schurken, oder bei allen Teufeln, Ihr büßt es mit Eurem Leben, sobald meine Hand nur irgend frei wird, um den Griff eines Schwertes zu erfassen.“

„Für diesmal müßt Ihr Euch schon fügen, gefesselt zu bleiben gleich einem Diebe, denn Ihr habt dem Galgen seine Zierde und den Raben ihr Futter geraubt,“ entgegnete verächtlich der Rathsherr. „Darum mögt Ihr im Gefängniß Euch überlegen, welch schlechten Dienst Ihr dem Gehenkten geleistet, der durch Euch wieder in’s Leben zurückkehrte, um es von Neuem wieder unter Höllenqual dem Henker preiszugeben.“

„Ihr habt kein Recht an mir!“ brüllte der Pole und versuchte im ohnmächtigen Grimm mit dem Fuße nach dem Rathsherrn zu stoßen. „Ich bin des Herzogs von Braunschweig Kriegsmann von heute an, darum müßt Ihr mich frei geben. Ihr elende Krämerseele, dessen schäbiges Leben nicht werth war, es den Fäusten der Troßbuben zu entreißen. Verflucht seid Ihr, der auf so bübische Weise mich zu behandeln wagt.“

„Für jenen Reiterdienst hat man Euch reichlich bezahlt, jetzt aber geschieht Euch, wie Ihr es verdient,“ entgegnete kalt der Rathsherr und verließ hastig die Hausflur, die Knechte aber packten den vor Wuth schäumenden Polen und warfen ihn in den Kerker des Lauenthurms.


Die achte Stunde des nächsten Morgens fand sämmtliche Mitglieder des Magistrats der Stadt Bautzen in ernster Berathung

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_228.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)